Bei Rennen von Kraftfahrzeugen im Straßenverkehr ist die Feststellung eines bedingten Gefährdungsvorsatzes (§ 315d Abs. 2 StGB) oder auch eines bedingten Tötungsvorsatzes regelmäßig problematisch.
Mit Urteil vom 16. Februar 2023 entschied der vierte Strafsenat des BGH über ein Kraftfahrzeugrennen, bei dem die geschädigte Person ums Leben kam. Der Angeklagte und eine weitere Person verabredeten abends ein Kraftfahrzeugrennen durch ein Stadtgebiet. Die beiden trafen sich auf einem Parkplatz und fuhren sodann auf eine nahe gelegene Straße. Der Angeklagte befuhr dabei die Gegenfahrspur und begann sein Fahrzeug maximal zu beschleunigen, zunächst auf 101 km/h und schließlich auf 157 km/h. Nachdem der Anklagte das Fahrzeug der Geschädigten wahrnahm, leitete er eine Vollbremsung ein, um einen Zusammenstoß zu vermeiden. Überdies versuchte er dem entgegenkommenden Fahrzeug auszuweichen. Zum Zeitpunkt der Kollision befuhr der Angeklagte die Straße mit einer Geschwindigkeit von 105 km/h. Dabei prallte er mit der rechten Vorderseite seines Fahrzeugs auf das Fahrzeug der Geschädigten auf. Diese erlitt beim Zusammenstoß schwerste Verletzungen und starb später im Krankenhaus.
Der Fall wurde erstmals am 17. Februar 2020 vor dem Landgericht Kleve verhandelt. Dieses verurteilte den Angeklagten wegen Mordes in Tateinheit mit verbotenen Kraftfahrzeugrennen mit Todesfolge zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe und einer isolierten Fahrerlaubnissperre.
Gegen diese Entscheidung legte der Angeklagte Revision ein. Der BGH hob die Entscheidung mit Beschluss vom 18. Februar 2021 hinsichtlich des Angeklagten auf und verwies die Sache zurück zum Landgericht.
Das Landgericht verurteilte ihn anschließend am 7. Juni 2021 wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennen mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und der Anweisung an Verwaltungsbehörden, dem Angeklagten vor Ablauf von 5 Jahren keine Fahrerlaubnis zu erteilen.
Dagegen legten Staatsanwaltschaft und Nebenklage Revision und Sachrüge zu Ungunsten des Angeklagten ein. In seiner Entscheidung hob der vierte Strafsenat des BGH das Urteil unter Verweis auf die subjektive Tatseite auf.
In der schriftlichen Urteilsbegründung kritisierte der Senat die Entscheidung des Landgerichts und traf Feststellungen zur subjektiven Tatseite:
Bedingter Tötungsvorsatz sei gegeben, wenn der Täter den Tod als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkenne (Wissenselement) und dies billige oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit dem Eintritt des Todes eines anderen Menschen abfinde, möge ihm der Erfolgseintritt auch gleichgültig oder an sich unerwünscht sein (Willenselement). Bewusste Fahrlässigkeit liege vor, wenn der Täter mit der als möglich erkannten Tatbestandsverwirklichung nicht einverstanden ist und ernsthaft und nicht nur vage darauf vertraut, der tatbestandliche Erfolg werde nicht eintreten. Weiterhin ist für die Beurteilung, ob der Täter bedingt vorsätzlich handelt, sowohl das kognitive als auch das voluntative Element umfassend zu prüfen und durch tatsächliche Feststellung zu belegen.
Nach Ansicht des vierten Strafsenats sei kein Indiz für einen bedingten Tötungsvorsatzes, dass der Angeklagte auch nach dem Überholen seines Kontrahenten sein Fahrzeug nicht unverzüglich auf die rechte Fahrspur zurücklenkte, insbesondere wenn nicht festgestellt werden kann, dass der Angeklagte die Gegenfahrspur noch zu einem Zeitpunkt befuhr, zu dem ihm ein gefahrloses Überwechseln auf die rechte Fahrspur bereits möglich war.
Der Angeklagte hatte zwar einen erheblichen Vorsprung gegenüber seinem Kontrahenten, allerdings war nicht feststellbar, nach welcher Wegstrecke der Angeklagte den anderen Rennteilnehmer überholte und ab welchem Zeitpunkt ein gefahrloses Wiedereinscheren auf die rechte Fahrbahn möglich war. Überdies erfolgte die Kollision bereits fünf Sekunden später. Aus diesem Grund sei es abwegig, dass der Angeklagte nach erfolgreichem Überholen seines Kontrahenten ein risikoverminderndes Verhalten unterlassen habe, welches auf einen bedingten Tötungsvorsatz hindeuten würde.
Ein bedingter Gefährdungsvorsatz im Sinne des § 315d Abs. 2 StGB läge vor, wenn der Täter über die allgemeine Gefährlichkeit des Kraftfahrzeugrennens hinaus auch die Umstände kennt, die den in Rede stehenden Gefahrerfolg im Sinne eines Beinaheunfalls als naheliegende Möglichkeit erscheinen lassen, und er sich mit dem Eintritt einer solchen Gefahrenlage zumindest abfindet.
In der schriftlichen Urteilsbegründung kritisierte der Senat das widersprüchliche Vorgehen des Landgerichts. Dieses verneinte das voluntative Element des bedingten Tötungsvorsatzes mit der Begründung, dass der Angeklagte auf das Ausbleiben einer Kollision mit dem Querverkehr vertraute. Gleichzeitig bejahte es aber einen bedingten Gefährdungsvorsatzes im Sinne des § 315d Abs. 2 StGB mit dem Argument, dass der Angeklagte mit der Kollision mit Verkehrsteilnehmern, die aus angrenzenden Straßen in die von ihm auf der Gefahrspur befahrene Vorfahrstraße einbiegen könnten, gerechnet habe.
Für die Annahme eines Gefährdungsvorsatz im Sinne des § 315d Abs. 2 StGB sprechen die Höchstgefährlichkeit des vom Angeklagten absprachegemäß durchgeführten Kraftfahrzeugrennens durch die Innenstadt, und das Befahren der Gegenfahrspur mit – wenn auch kurzfristigen – deutlichen Überschreiten der innerorts zulässigen Höchstgeschwindigkeit. Jedoch muss darüber hinaus unter Berücksichtigung ihres Zusammenhangs eindeutig festgestellt werden, welche konkreten Gefährdungsszenarien sich der Angeklagte vorstellte, die zwar nicht zu einer Kollision, aber doch zu einer Situation führten, die als Beinaheunfall beschrieben werden kann. Dafür muss im Einzelnen dargelegt und tragfähig belegt werden, welche Geschehensabläufe sich der Angeklagte vorgestellt hat, die zwar nicht zu einer Kollision mit anderen Verkehrsteilnehmern, aber zu einem Beinaheunfall im zuvor genannten Sinne führen könnten. Dies sei jedoch vorliegend nicht geschehen.
Quelle: Urteil vom 16.02.2023 – 4 StR 211/22, BeckRS 2023, 8083