Häufig assoziiert man mit dem Begriff des Pflichtverteidigers, dass dieser einem Beschuldigten, Angeschuldigten oder Angeklagten immer dann zur Seite gestellt wird, wenn dieser nicht genügend finanzielle Mittel für einen Verteidiger seiner Wahl (sog. Wahlverteidiger) hat.
Somit trifft man häufig auf die Fehlvorstellung, dass der „schlechter“ bezahlte Pflichtverteidiger keine Lust auf den Mandanten hat und auch fachlich weniger leistet. Dies trifft nicht zu. Vielmehr ist die Beiordnung nicht alleine von den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Beschuldigten, Angeschuldigten oder Angeklagten abhängig. Der Pflichtverteidiger wird stets in den Fällen einer sogenannten „notwendigen Verteidigung“ (vgl. § 140 StPO) bestellt, wenn der Beschuldigte noch keinen selbst erwählten und mandatierten Verteidiger hat.
Mit dem Institut der Pflichtverteidigung soll nicht nur eine wirksame Verteidigung, sondern auch ein fairer Prozess ermöglicht werden.
Fälle einer sogenannten „notwendigen Verteidigung“
§ 140 Abs. 1 StPO schreibt die Mitwirkung eines Verteidigers in Bestimmten Verfahrenssituationen zwingend vor. Hierbei handelt es sich um Konstellationen, bei denen der Gesetzgeber abstrakt davon ausgeht, dass der Beschuldigte nicht in der Lage ist, sich selbst zu verteidigen. Dies gilt sogar unabhängig davon, ob der Beschuldigte denkt, sich selbst verteidigen zu können. Gemäß § 140 Abs. 1 StPO ist ein Pflichtverteidiger beizuordnen, wenn
- Nr. 1: zu erwarten ist, dass die Hauptverhandlung im ersten Rechtszug vor dem Oberlandesgericht, dem Landgericht oder dem Schöffengericht stattfindet;
- Nr. 2: dem Beschuldigten ein Verbrechen (§ 12 StGB) zur Last gelegt wird;
- Nr. 3: das Verfahren zu einem Berufsverbot führen kann;
- Nr. 4: der Beschuldigte nach den §§ 115, 115a, 128 Absatz 1 oder § 129 einem Gericht zur Entscheidung über Haft oder einstweilige Unterbringung vorzuführen ist;
- Nr. 5: der Beschuldigte sich auf Grund richterlicher Anordnung oder mit richterlicher Genehmigung in einer Anstalt befindet;
- Nr. 6: zur Vorbereitung eines Gutachtens über den psychischen Zustand des Beschuldigten seine Unterbringung nach § 81 in Frage kommt;
- Nr. 7: zu erwarten ist, dass ein Sicherungsverfahren durchgeführt wird;
- Nr. 8: der bisherige Verteidiger durch eine Entscheidung von der Mitwirkung in dem Verfahren ausgeschlossen ist;
- Nr. 9: dem Verletzten nach den §§ 397a und 406h Absatz 3 und 4 ein Rechtsanwalt beigeordnet worden ist;
- Nr. 10: bei einer richterlichen Vernehmung die Mitwirkung eines Verteidigers auf Grund der Bedeutung der Vernehmung zur Wahrung der Rechte des Beschuldigten geboten erscheint;
- Nr. 11: ein seh-, hör- oder sprachbehinderter Beschuldigter die Bestellung beantragt.
Gemäß § 140 Abs. 2 StPO ist in anderen Fällen ein Pflichtverteidiger beizuordnen, wenn wegen der Schwere der Tat oder wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint oder wenn ersichtlich ist, daß sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann.
- Das Merkmal der „Schwere der Tat“ ist dabei nach den zu erwartenden Rechtsfolgen zu bestimmen. Darunter fallen neben einer zu erwartenden Freiheitsstrafe von mindestens 1 Jahr (unabhängig davon, ob die erwartete Strafe zur Bewährung ausgesetzt werden kann oder nicht) auch Maßregeln der Besserung und Sicherung, wie z.B.: Entziehung der Fahrerlaubnis für einen Berufsfahrer, die zum Verlust des Arbeitsplatzes führt.
- Eine „schwierige Sach- und Rechtslage“ wird bei Täterschaftsproblemen und Schuldfähigkeitsproblemen des Beschuldigten, Angeschuldigten oder Angeklagten sowie dann anzunehmen sein, wenn die Verteidigung nur bei Kenntnis des dem Verfahren zugrundeliegenden Aktenmaterials (etwa bei widersprechender Zeugenaussagen) möglich ist.
Für die Beurteilung des Schwierigkeitsgrads wird es in den meisten Fällen notwendig sein, eine Gesamtwürdigung von Sach- und Rechtslage für den jeweiligen Einzelfall vorzunehmen.
- Die Unfähigkeit sich selbst zu verteidigen besteht dann, wenn aus Gründen, die in der Person des Beschuldigten, Angeschuldigten oder Angeklagten liegen oder sich aus den sonstigen Umständen des Falles ergeben, eine Beiordnung eines Pflichtverteidigers unerlässlich für eine ordnungsgemäße Durchführung des Verfahrens und die Wahrung der Interessen des Beschuldigten, Angeschuldigten oder Angeklagten ist. Eine Beiordnung kommt zum Beispiel bei Analphabetismus, bei Ausländern, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind oder wenn der Beschuldigte unter Betreuung steht, in Betracht.
Besonders zu beachten ist, dass auch im Jugendstrafrecht ein Pflichtverteidiger vonnöten sein kann.
Ein Fall der notwendigen Verteidigung im Sinne des § 68 JGG liegt vor, wenn
- Nr. 1: im Verfahren gegen einen Erwachsenen ein Fall der notwendigen Verteidigung vorliegen würde,
- Nr. 2: den Erziehungsberechtigten und den gesetzlichen Vertretern ihre Rechte nach diesem Gesetz entzogen sind,
- Nr. 3: die Erziehungsberechtigten und die gesetzlichen Vertreter nach § 51 Abs. 2 von der Verhandlung ausgeschlossen worden sind und die Beeinträchtigung in der Wahrnehmung ihrer Rechte durch eine nachträgliche Unterrichtung (§ 51 Abs. 4 Satz 2) oder die Anwesenheit einer anderen geeigneten volljährigen Person nicht hinreichend ausgeglichen werden kann,
- Nr. 4: zur Vorbereitung eines Gutachtens über den Entwicklungsstand des Beschuldigten (§ 73) seine Unterbringung in einer Anstalt in Frage kommt oder
- Nr. 5: die Verhängung einer Jugendstrafe, die Aussetzung der Verhängung einer Jugendstrafe oder die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt zu erwarten ist.
Sollte eine der genannten Voraussetzungen auf Sie und Ihr Strafverfahren zutreffen, ist Strafverteidiger Rechtsanwalt Stern gerne bereit, Ihnen als Pflichtverteidiger zur Seite zu stehen.
Ab wann hat man einen Anspruch auf einen Pflichtverteidiger?
Gemäß § 141 Abs. 1 StPO wird dem Beschuldigten, dem der Tatvorwurf eröffnet worden ist und der noch keinen Verteidiger hat, in den Fällen der notwendigen Verteidigung unverzüglich ein Pflichtverteidiger bestellt, wenn der Beschuldigte dies nach Belehrung ausdrücklich beantragt. Über den Antrag ist spätestens vor einer Vernehmung des Beschuldigten oder einer Gegenüberstellung mit ihm zu entscheiden.
Nach § 141 Abs. 2 StPO wird unabhängig von einem Antrag dem Beschuldigten, der noch keinen Verteidiger hat, in den Fällen der notwendigen Verteidigung ein Pflichtverteidiger bestellt, sobald
- Nr. 1: er einem Gericht zur Entscheidung über Haft oder einstweilige Unterbringung vorgeführt werden soll;
- Nr. 2: bekannt wird, dass der Beschuldigte, dem der Tatvorwurf eröffnet worden ist, sich auf Grund richterlicher Anordnung oder mit richterlicher Genehmigung in einer Anstalt befindet;
- Nr. 3: im Vorverfahren ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte, insbesondere bei einer Vernehmung des Beschuldigten oder einer Gegenüberstellung mit ihm, nicht selbst verteidigen kann, oder
- Nr. 4: er gemäß § 201 zur Erklärung über die Anklageschrift aufgefordert worden ist; ergibt sich erst später, dass die Mitwirkung eines Verteidigers notwendig ist, so wird er sofort bestellt.
Wer entscheidet über die Bestellung eines Pflichtverteidigers?
Über die Beiordnung eines Pflichtverteidiger entscheidet regelmäßig gem. § 142 Abs. 3 StPO entweder
- das Amtsgericht, in dessen Bezirk die Staatsanwaltschaft oder ihre zuständige Zweigstelle ihren Sitz hat, oder das nach § 162 Absatz 1 Satz 3 zuständige Gericht;
- in den Fällen des § 140 Absatz 1 Nummer 4 das Gericht, dem der Beschuldigte vorzuführen ist oder
- nach Erhebung der Anklage der Vorsitzende des Gerichts, bei dem das Verfahren anhängig ist.
Bei besonderer Eilbedürftigkeit kann auch die Staatsanwaltschaft nach § 142 Abs. 4 StPO über die Bestellung entscheiden.
Kann ich selbst einen Pflichtverteidiger beantragen?
Der Beschuldigte hat nach § 141 Abs. 1 S. 1 StPO ein eigenes Antragsrecht. Der Beschuldigte kann und sollte dieses Antragsrecht unmittelbar nach der ersten Belehrung ausüben.
Hat der Beschuldigte von seinem Antragsrecht demgegenüber keinen Gebrauch gemacht, dann gilt § 142 Abs. 6 StPO, wonach der Pflichtverteidiger dann aus dem Gesamtverzeichnis der Bundesrechtsanwaltskammer (§ 31 BRAO) durch das zuständige Gericht ausgewählt wird. Dort soll entweder ein Fachanwalt für Strafrecht oder ein anderer Rechtsanwalt, der gegenüber der Rechtsanwaltskammer sein Interesse an der Übernahme von Pflichtverteidigungen angezeigt hat und für die Übernahme der Verteidigung geeignet ist, ausgewählt werden.
Sie sollten daher unbedingt nach Möglichkeit selbst darauf achten, in Ihrem Antrag einen guten Strafverteidiger zu benennen. Die Auswahl des Verteidigers in das Ermessen des Gerichts zu stellen, ist ungünstig. Dies gilt vor allem, dann wenn bereits Anklage erhoben worden ist und der Richter selbst aussuchen kann, wer ihm gegenüber sitzt. Die Versuchung für das Gericht, einen „genehmen“ Verteidiger beizuordnen, ist verständlicherweise groß.
Pflichtverteidigung zurücknehmen
Die Pflichtverteidigung kann in bestimmten Fällen enden bzw. auch zurückgenommen werden.
Laut § 143 Abs. 1 StPO endet zum Beispiel die Beiordnung des Pflichtverteidigers mit der Einstellung oder dem rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens.
Gemäß § 143a Abs. 1 StPO ist die Pflichtverteidigung aufzuheben, wenn der Beschuldigte nachträglich selbst einen Verteidiger erwählt und dieser entsprechend die Wahl auch annimmt.
Nach § 143a Abs. 2 StPO ist die Bestellung des Pflichtverteidigers aufzuheben und ein neuer Pflichtverteidiger zu bestellen, wenn beispielsweise das Vertrauensverhältnis zwischen Verteidiger und Beschuldigtem endgültig zerstört ist oder aus einem sonstigen Grund keine angemessene Verteidigung des Beschuldigten gewährleistet ist.
Was kostet ein Pflichtverteidiger?
Grundsätzlich vertritt der Pflichtverteidiger seinen Mandanten, ohne dass dieser ihn zuvor bezahlen muss. Mit der Bestellung zum Pflichtverteidiger erhält der Rechtsanwalt einen Anspruch auf Bezahlung durch den Staat. Der Pflichtverteidiger erhält dabei etwas niedrigere Gebühren als bei der Wahlverteidigung.
Dass der Rechtsanwalt erst einmal vom Staat bezahlt wird, heißt aber nicht, dass der Pflichtverteidiger für den Beschuldigten, Angeschuldigten oder Angeklagten immer vollkommen kostenlos ist. Im Falle einer Verurteilun hat dieser die Kosten des Verfahrens zu tragen. Häufig lässt sich diese Forderung jedoch nicht realisieren.
Sollte es dagegen zu einem Freispruch kommen, so hat der Staat die Kosten und notwendigen Auslagen des Angeklagten zu erstatten. In diesen Fällen entstehen für den Angeklagten keine Kosten.
Kontaktieren Sie uns, falls Sie einen Pflichtverteidiger benötigen.