Heinrich, Konfliktverteidigung im Strafprozess, in 3. Auflage erschienen

Als Strafverteidiger, der sich im Alltag oft genug mit der Frage beschäftigt, ob im Einzelfall Konfrontation oder Kooperation das bessere Ergebnis verspricht, lag mir die Lektüre von Jürgen Heinrichs „Konfliktverteidigung im Strafprozess“ nahe – und ich wurde nicht enttäuscht. Das Buch beleuchtet eine Verteidigungsstrategie, die gemeinhin kontrovers diskutiert wird: den bewussten Einsatz prozessualer Mittel zur Erzeugung von Verfahrenskonflikten, um den zu erwartenden Prozessablauf zu beeinflussen. Heinrich beschreibt fundiert, wie solche Konflikte entstehen, welche legalen Mittel Konfliktverteidiger nutzen und wie diese Taktik sowohl Chancen für die Verteidigung als auch Risiken birgt. Dabei geht es nicht um charmantes Hofieren der Richter, sondern um das bewusste „Stören“, solange es dem Mandanten nutzt – kurz gesagt: die Kunst, den Staatsapparat gezielt zu ärgern, ohne sich dabei ins Aus zu manövrieren.

Das Buch widmet sich detailliert den praktischen Aspekten: Wie und wann sind Befangenheitsanträge sinnvoll? Wann haben Aussetzungsanträge ihre taktische Berechtigung? Und was passiert, wenn Konflikte eskalieren? Diese Praxistipps liest man gerne – auch wenn mancher Richter auf solche Tricks alles andere als begeistert reagiert. Heinrich spart nicht mit konkreten Beispielen und gibt dem Verteidiger Musterformulierungen an die Hand, was den praktischen Wert für die tägliche Arbeit erhöht. Dabei spricht er auch offen an, dass Konfliktverteidigung keine Kuschelverteidigung ist – wer diesen Weg geht, muss mit Widerstand rechnen. Die Perspektive des Autors ist aber der Richter: Dieser „muss“ schließlich mit dem Konfliktverteidiger umgehen lernen.

Eine intensivere Auseinandersetzung mit alternativen Verteidigungsstilen wird man allerdings vermissen, ebenso eine kritische Reflexion darüber, wie man als Verteidiger eine Balance findet zwischen konsequenter Rechtdurchsetzung und einem zu sehr eskalierenden Verhalten. Wer glaubt, Konfliktverteidigung sei immer das Mittel der Wahl, der irrt. Man muss wissen, wann man das „Stören“ guten Gewissens betreibt und wann man lieber den „Diplomaten“ mimt lässt.

Die Lektüre fühlt sich ein bisschen an wie der Besuch in der Kantine des Gerichts – man bekommt die besten Geschichten, lernt die ganz speziellen Kniffe und weiß danach, wo man die verbotenen Süßigkeiten findet. Doch manchmal wünscht man sich auch einen Gang zurück, mehr Empathie und weniger Krawall in dieser ernsten Angelegenheit, die Menschenleben und Freiheit betrifft. Trotzdem: Für Strafverteidiger, die sich handfest mit der Taktik der Konfliktverteidigung auseinandersetzen möchten, ist Heinrichs Buch ein höchst nützliches, praxisnahes Werkzeug, das den strategischen Kampf ums Recht auf den Punkt bringt. Wer meint, das Strafverfahren sei eine Kuschelparty, kann es getrost liegen lassen. Für alle anderen gilt: ran an den Streit.

Heinrich, Konfliktverteidigung im Strafprozess, C.H.Beck, 3. Auflage 2003, 242 S., 75 €.