Eigengefährdung Strafrecht

Tatvorwurf: Trunkenheit im Verkehr (§ 316 Abs. 1, 2 StGB)

Unserem Mandanten wurde vorgeworfen, in alkoholisiertem Zustand mit dem Fahrrad im Berliner Stadtgebiet gefahren zu sein. Er verlor dabei die Kontrolle über das Fahrrad, fuhr gegen einen Bordstein, überschlug sich und stürzte schwer. Der Unfall führte zu:

  • mehrminütiger Bewusstlosigkeit,
  • einer blutenden Platzwunde am Kopf,
  • mehreren Hautabschürfungen an Gesicht, Ellenbogen und Knie,
  • sowie Sachschäden am Fahrrad.

Hinzugerufene Passanten alarmierten Rettungsdienst und Polizei. Eine entnommene Blutprobe ergab einen Rückrechnungswert von 1,7 Promille – damit war der Mandant absolut fahruntüchtig im Sinne des § 316 StGB.

Verteidigungsstrategie: Verfahrenseinstellung nach § 154 Abs. 2 StPO

Nach Zustellung eines Strafbefehl des Amtsgerichts Tiergarten mandatierte der Mandant umgehend Rechtsanwalt Stern, der fristgerecht Einspruch einlegte. Nach Akteneinsicht regte er die Einstellung des Verfahrens nach § 154 Abs. 2 StPO an – mit überzeugenden Argumenten:

  • Der Mandant war in einem parallel geführten Verfahren wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von über zwei Jahren verurteilt worden (noch nicht rechtskräftig).
  • Im vorliegenden Fall lag keine Fremdgefährdung, sondern ausschließlich Eigengefährdung vor.
  • Der Verletzte war ausschließlich der Mandant selbst.
  • Der Sturz könnte – zumindest teilweise – auch auf Witterungseinflüsse (nasses Laub) zurückzuführen sein.
  • Der Mandant erlitt erhebliche Verletzungen und hatte keine Erinnerung mehr an den Unfallhergang.

Staatsanwaltschaft und Gericht folgten der Argumentation und stellten das Verfahren ohne Hauptverhandlung ein.


Rechtsproblem: § 316 StGB und die Frage der Eigen- vs. Fremdgefährdung

Ein spannendes Rechtsproblem in diesem Fall betrifft die Strafbarkeit bei rein selbstgefährdendem Verhalten im Rahmen des § 316 StGB:

Zwar ist der Tatbestand auch dann erfüllt, wenn ein alkoholisierter Fahrer lediglich sich selbst gefährdet – wie hier durch einen schweren Sturz. Allerdings wird in der Rechtsprechung und Literatur diskutiert, ob eine bloße Eigengefährdung stets eine Strafverfolgung rechtfertigt, insbesondere wenn kein anderes Rechtsgut verletzt wurde und ein anderer Strafvorwurf (wie hier die gefährliche Körperverletzung) bereits im Raum steht.

§ 154 Abs. 2 StPO erlaubt es in solchen Fällen, aus Gründen der Verhältnismäßigkeit und zur Vermeidung unnötiger Doppelverfolgung, ein Verfahren zurückzustellen, wenn die zu erwartende Strafe angesichts einer anderen Verurteilung keine zusätzliche Sanktion mehr rechtfertigen würde.

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