(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer einer anderen Person in einer Weise unbefugt nachstellt, die geeignet ist, deren Lebensgestaltung schwerwiegend zu beeinträchtigen, indem er beharrlich
1. die räumliche Nähe dieser Person aufsucht,
2. unter Verwendung von Telekommunikationsmitteln oder sonstigen Mitteln der Kommunikation oder über Dritte Kontakt zu dieser Person herzustellen versucht,
3. unter missbräuchlicher Verwendung von personenbezogenen Daten dieser Person
a)Bestellungen von Waren oder Dienstleistungen für sie aufgibt oder
b)Dritte veranlasst, Kontakt mit ihr aufzunehmen, oder
4. diese Person mit der Verletzung von Leben, körperlicher Unversehrtheit, Gesundheit oder Freiheit ihrer selbst, eines ihrer Angehörigen oder einer anderen ihr nahestehenden Person bedroht oder
5. eine andere vergleichbare Handlung vornimmt.
(2) Auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter das Opfer, einen Angehörigen des Opfers oder eine andere dem Opfer nahe stehende Person durch die Tat in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung bringt.
(3) Verursacht der Täter durch die Tat den Tod des Opfers, eines Angehörigen des Opfers oder einer anderen dem Opfer nahe stehenden Person, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.
(4) In den Fällen des Absatzes 1 wird die Tat nur auf Antrag verfolgt, es sei denn, dass die Strafverfolgungsbehörde wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält.
Was ist „Stalking“?
Stalking wird im Strafgesetzbuch als Nachstellen bezeichnet und ist im § 238 StGB geregelt. Der Begriff des Nachstellens umfasst unter anderem das Auflauern, Aufsuchen und Verfolgen. Allgemein umschreibt er alle Handlungen, die darauf ausgerichtet sind, durch unmittelbare oder mittelbare Annäherung in den persönlichen Lebensbereich des Opfers einzugreifen und dadurch seine Handlungs- und Entschließungsfreiheit zu beeinträchtigen (vgl. Rengier, Strafrecht BT Teil II, § 26a, Rn. 6).
Der Tatbestand umfasst zunächst die Tathandlung des Nachstellen. Die Tathandlungen des Nachstellen, müssen von dem Täter unbefugt und beharrlich begangen werden. Schließlich müssen die Nachstellungshandlungen geeignet sein, die Lebensgestaltung des Opfers erheblich zu beeinträchtigen (MüKoStGB/Gericke, 4. Aufs. 2021, StGB § 238 Rn. 4).
Es gibt acht Handlungsalternativen im Strafgesetzbuch, die unter den Straftatbestand des § 238 StGB fallen.
Nr. 1 Aufsuchen der räumlichen Nähe einer Person
Es muss eine physische Annäherung zwischen Täter und Opfer stattfinden, dazu gehörten z.B. das Auflauern, Verfolgen, Vor-dem-Haus-Stehen und sonstige häufige Präsenz in der Nähe der Wohnung oder Arbeitsstelle des Opfers (BT-Drs. 16/575, 7., MüKoStGB/ Gericke, 4. Aufl. 2021, StGB § 238 Rn. 18).
Nr. 2 Kontaktversuche über Kommunikationsmittel oder Dritte
Der Täter muss unter Verwendung von Telekommunikationsmitteln oder sonstigen Mitteln der Kommunikation oder über Dritte versuchen Kontakt zum Opfer herzustellen.
Telekommunikationsmittel § 3 Nr. 22 und 23 TKG, darunter fallen zum Beispiel Nachrichten, wie SMS, WhatsApp oder E-Mails.
Zu den sonstigen Mitteln der Kommunikation gehören Briefe, schriftliche Botschaften an der Windschutzscheibe (BT-Drs. 16/575, 7.), die Übersendung von Audio- oder Videobotschaften auf CD, DVD oder anderen (Bild-) Tonträgern (Krüger in Krüger (Hrsg.), Stalking als Straftatbestand, S. 118) sowie eine an die Hauswand gesprühte oder in den Autolack geritzte Botschaft (Gazeas JR 2007, 497 (500)).
Auch die Kontaktaufnahme über Dritte fällt unter diese Alternative. Dritte in diesem Sinne können Angehörige oder sonstige Personen aus dem Umfeld des Opfers, wie z.B. Kollegen, sein (BT-Drs. 16/575,7).
Nr. 3 Bestellungen, Veranlassung Dritter zur Kontaktaufnahme
Bei der dritten Variante wird die missbräuchliche Verwendung von personenbezogenen Daten des
Opfers, um für dieses Waren oder Dienstleistungen zu bestellen (Variante 1) oder Dritte dazu veranlasst, mit dem Opfer Kontakt aufzunehmen (Variante 2), erfasst.
Unter die personenbezogenen Daten fallen zum Beispiel Name, Adresse, Geburtsdatum, Telefonnummer, E-Mail-Anschrift, Kontodaten, Kreditkartennummern, Passwörter des Opfers.
Darüber hinaus ist erforderlich, dass Bestellungen für das Opfer aufgegeben werden. Bei dem Dritten muss der Eindruck entstehen können, als habe das Opfer selbst die Bestellung aufgegeben oder es in zurechenbarer Weise veranlasst (Fischer Rn. 15a).
Für die zweite Variante der Dritten Abwandlung muss ein Dritter zur Kontaktaufnahme mit dem Opfer veranlasst werden.
Nr. 4 Bedrohung
Die Tathandlung der Bedrohung umfasst das Inaussichtstellen einer Verletzung der Rechtsgüter Leben, körperliche Unversehrtheit, Gesundheit oder Freiheit des Opfers selbst oder eines ihrer Angehörigen oder einer anderen dem Opfer nahestehenden Person.
Nr. 5 Verletzen des Lebens- und Geheimnisbereichs
Für die Verletzung des Lebens- und Geheimnisbereichs des Opfers muss die Tat den Tatbestand des § 202a StGB (das Ausspähen von Daten), § 202b StGB (das Abfangen von Daten) oder § 202c StGB (das Vorbereiten des Ausspähens und Abfangens von Daten) erfüllen.
Es werden zum Beispiel Fälle erfasst, bei denen der:die Täter:in Daten des Opfers oder einer dem Opfer angehörigen oder nahestehenden Person von einem Rechner der betroffenen Person auf einen eigenen Rechner umleitet (Fischer Rn. 22).
Nr. 6 Verbreiten von Abbildungen
Unter das Verbreiten von Abbildungen fallen Fälle in denen eine Abbildung des Opfers, eines Angehörigen des Opfers oder einer anderem dem Opfer nahestehenden Person verbreitet oder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird.
Sowohl das Verbreiten als auch das öffentlich zugänglich machen von Abbildungen wird geschützt. Das heißt es werden intime, höchstpersönliche, aber auch neutrale Abbildungen erfasst. Abbildungen können zum Beispiel Fotos, Filmaufnahmen oder Zeitungen (BT-Drs. 19/28679, 12) sein. Auch das Veröffentlichen von Bildern aus Gründen der Rache, wie etwa für das Beenden einer früheren
Beziehung- sog. „Rachepornos“ – fallen unter diesen Begriff (Fischer Rn. 23).
Nr. 7: Veröffentlichung unter falscher Identität
Zur Veröffentlichung unter falscher Identität gehören Inhalte (im Sinne des § 11 Abs. 3 StGB, zum Beispiel Schriften auf Ton- oder Bildträgern, in Datenspeichern), die dazu geeignet sind, das Opfer verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen, unter der Vortäuschung der Urheberschaft der Person verbreitet oder Öffentlichkeit zugänglich macht.
Der Täter muss sich als das Opfer ausgeben, um Inhalte zu veröffentlichen, die dazu geeignet sind das Opfer verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen.
Darunter fallen zum Beispiel Fälle in denen Bilder des Opfers in seinem Namen auf einer Social-Media Plattform veröffentlicht werden.
Nr. 8 Andere vergleichbare Handlungen
Zu anderen vergleichbaren Handlungen gehören insbesondere „neue Formen“, um so auch technische Entwicklungen erfassen zu können (Ber. aaO; Zypries BT-Prot. 16/3641). Dazu kann zum Beispiel das Beschädigen von Sachen des Opfers gehören.
Das Nachstellen muss auch beharrlich erfolgen. Dafür ist ein wiederholtes Handeln erforderlich. Das Merkmal wird vom Gesetzgeber dahingehend konkretisiert, dass die Anzahl der Wiederholungen- die sich auch aus verschiedenen Tathandlungen ergeben können- vom Einzelfall abhängig gemacht werden. Insbesondere bei schwereren Handlungen kann eine einstellige Zahl ausreichen (BT-Drs. 19/28679, S. 12, Rengier, Strafrecht BT Teil II, Rn. 7).
Des Weiteren muss die Tathandlung unbefugt erfolgen. Das heißt, der Täter muss gegen den Willen des Opfers handeln. Darüber hinaus können sozialadäquate Verhaltensweisen und solche Fälle ausgeschlossen werden, in denen der Täter sich auf eine amtliche oder sonstige Befugnis oder Erlaubnis berufen kann (Ringier, 23. Aufl. 2022, § 26a Rn. 8).
Eine Einigung zur schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung ist erforderlich. Die Lebensgestaltung umfass allgemein die Freiheit der menschlichen Entschlüsse und Handlungen (BT-Drs. 16/575, 7; BGH 19.11.2009 – 3 StR 244/09, BGHSt 54, 189 (196) = NJW 2010, 1680(1682); Neubacher/Seher JZ 2007, 1029 (1034); SK-StGB/ Wolters Rn. 8). Diese wird beeinträchtigt, wenn es durch die Handlungen des Täters zu einer (erzwungenen) Veränderung seiner bisherigen Lebensumstände und so zumindest zu einer Einbuße von Lebensqualität kommt (MüKoStGB/ Gericke 4. Aufl. 2021, StGB § 238 Rn. 47, BGH 19.11.2009 – 3 StR 244/09, BGHSt 54, 189(196 f.) = NJW 2010, 1680 (1682); Mosbacher NStZ 2007, 665 (667); NK-StGB/Sonnen Rn. 45; SK-StGB/Wolters Rn. 9.).
Die Eignung muss sich nicht mehr auf eine schwerwiegende Beeinträchtigung beziehen, vielmehr ist eine nicht unerhebliche Beeinträchtigung der Lebensgestaltung ausreichend (Rengier, Strafrecht BT Teil II, § 26a Rn. 17).
Ist ein Vorsatz erforderlich?
Das Delikt erfordert einen Vorsatz, dabei ist bereits ein bedingter Vorsatz- dolus eventualis- ausreichend. Dafür muss der:die Täter:in das Geschehen und den Erfolgseintritt zumindest für möglich halten und es billigend in Kauf nehmen.
Hat der Grundtatbestand eine Qualifikation?
Der § 238 I StGB weist zwei Qualifikationen auf, die Qualifikation des Absatz 2 und die Erfolgsqualifikation des dritten Absatzes.
Für die Qualifikation des Absatz 2 ist erforderlich, dass der:die Täter:in das Opfer oder eine andere dem Opfer nahe stehende Person durch die Tat in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung bringt.
Für die Qualifikation des Absatz 3 ist erforderlich, dass der:die Täter:in durch die Tat den Tod des Opfers, eines Angehörigen des Opfers oder einer anderen dem Opfer nahe stehenden Person verursacht.
Ist der Versuch strafbar?
Der Versuch des Grunddelikts sowie die Qualifikation gemäß Absatz 2 ist mangels ausdrücklicher Anordnung im Gesetz straflos. Die Qualifikation des Absatz 3 ist Verbrechenstatbestand, sodass der Versuch strafbar ist.
Wie wird das Delikt bestraft?
Das Grunddelikt wird mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Die Qualifikation des Absatz zwei, wird mit einer Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. Die Qualifikation des Absatz drei wird mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft.
Wann wird das Delikt verfolgt?
Das Delikt wird in den Fällen von Absatz 1 grds. nur auf Strafantrag verfolgt. Es sei denn, dass die Strafverfolgungsbehörde wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält.