Strafverfahren gegen Jugendliche und Heranwachsende
Die Vertretung von Jugendlichen (14-17 Jahre, maßgeblich ist das Alter zum Zeitpunkt der Tat) und Heranwachsenden (18-20 Jahre) gegen strafrechtliche Vorwürfe stellt einen Schwerpunkt unserer Tätigkeit dar.
Das Jugendstrafrecht unterscheidet sich in vielen Punkten vom Erwachsenenstrafrecht. Insbesondere bieten sich der Verteidigung deutlich mehr Einflusssmöglichkeiten auf den Verfahrensausgang, da die möglichen Rechtsfolgen einer Tat divers sind.
Während sich die Art und Höhe der Strafe im Erwachsenenstrafrecht wesentlich nach der Schuld des Beschuldigten bemisst und nur Geldstrafe und Freiheitsstrafe als primäre strafrechtliche Sanktionen vorgesehen sind, stehen – jedenfalls nach dem Gesetz – im Jugendstrafrecht spezialpräventive Erziehungsgesichtspunkte im Zentrum und damit neben der Jugendstrafe auch Erziehungsmaßregeln und Zuchtmittel als Rechtsfolgen zur Verfügung.
Die Bevorzugung der Erziehung des jugendlichen Delinquenten gegenüber dem Vergeltungswillen der Allgemeinheit liegt zugrunde, dass sich Jugendliche und Heranwachsende noch in der Entwicklung befinden und mangels Lebenserfahrung die Normen und Werte der Erwachsenenwelt noch nicht so stark verinnerlicht haben. Außerdem fällt es ihnen oft schwerer, sich nicht zu Straftaten verleiten zu lassen oder allgemein gesprochen keine schlechten Entscheidungen zu treffen.
Staatsanwaltschaft und Jugendgericht fragen sich daher stets: Wie müssen wir auf den Jugendlichen oder Heranwachsenden einwirken, um ihn von der Begehung weiterer Straftaten abzuhalten? Dies führt insbesondere auch dazu, dass die Persönlichkeit des Jugendlichen oder Heranwachsenden im Verfahren weit umfassender gewürdigt werden muss als im Erwachsenenstrafrecht.
Typische Jugenddelikte
Ein materielles Jugendstrafrecht existiert nicht, es gelten somit die Delikte des allgemeinen Strafrechts. Dennoch lassen sich in unserer Praxis einige typische Delikte identifizieren: Hierzu zählen Ladendiebstahl, Schwarzfahren, Körperverletzung, Sachbeschädigung, Betrug und Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz. Schwerer wiegende Delikte umfassen insbesondere des sogenannte „Abziehen“. Gemeint ist die mit Gewaltdrohung verbundene Aufforderung an in der Regel Gleichaltrige, Turnschuhe, Handys oder Geld herauszugeben. Die Jugendlichen selbst sehen diese Taten häufig als bloße Bagatellen an, während es sich rechtstechnisch um Raub oder räuberische Erpressung handelt, im Falle eines Waffeneinsatzes, mit Mindestfreiheitsstrafen (nach dem Erwachsenenstrafrecht) von 5 Jahren. Allerdings gelten die Strafrahmen des allgemeinen Strafrechts im Jugendstrafrecht nicht.
Rechtsfolgen im Jugendstrafrecht
Ziel der Verteidigung ist die Einstellung des Strafverfahrens noch im Ermittlungsverfahren. Zusätzlich zu den im Erwachsenenstrafrecht vorhandenen Einstellungsmöglichkeiten sieht das JGG mit den §§ 45 und 47 besondere Arten der Einstellung vor.
Kommt es jedoch nicht zu der erstrebten Einstellung, werden Sanktionen verhängt. Während im Erwachsenenstrafrecht diese in der jeweiligen Strafnorm festgeschrieben sind (Geld- oder Freiheitsstrafe) sieht das Jugendgerichtsgesetz drei Gruppen möglicher Rechtsfolgen vor:
- Erziehungsmaßregel
- Zuchtmittel
- Jugendstrafe
Erziehungsmaßregeln
Die Erziehungsmaßregeln der §§ 9 ff. JGG, die die mildeste Sanktionsform darstellen, sind die Erteilung von Weisungen gem. § 10 JGG und die Hilfe zur Erziehung gem. § 12 JGG. Der – nicht abschließende – Katalog für Weisungen gem. § 10 JGG sieht dabei beispielsweise vor, dass der Richter dem Jugendlichen auferlegen kann:
- eine Ausbildungs- oder Arbeitsstelle anzunehmen,
- Arbeitsleistungen zu erbringen,
- sich der Betreuung und Aufsicht einer bestimmten Person (Betreuungshelfer) zu unterstellen,
- an einem sozialen Trainingskurs teilzunehmen,
- sich zu bemühen, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen (Täter-Opfer-Ausgleich).
Im Rahmen der Hilfe zur Erziehung gem. § 12 JGG kann der Richter einen Erziehungsbeistand auferlegen oder die Unterbringung in einer betreuten Wohnform anordnen.
Zuchtmittel
Die Zuchtmittel sind die zweite Stufe der Sanktionen im Jugendstrafrecht und dienen schon eher der Bestrafung, wobei grundsätzlich auch hier der pädagogische Erziehungsgedanke im Vordergrund steht. Sie sollen aber – im Gegensatz zu den Erziehungsmaßregeln – insbesondere das Unrechts- und Verantwortungsgefühl des Jugendlichen schärfen. Nach § 13 Abs. 1 JGG ahndet der Richter die Straftat mit Zuchtmitteln, wenn dem Jugendlichen „eindringlich zum Bewußtsein gebracht werden muß, daß er für das von ihm begangene Unrecht einzustehen hat“ aber noch keine Jugendstrafe geboten ist.
Zuchtmittel sind dabei die Verwarnung gem. § 14 JGG, die Auflagen gem. § 15 JGG und der Jugendarrest gem. § 16 JGG. Durch die Verwarnung soll dem Jugendlichen das Unrecht der Tat eindringlich vom Richter vor Augen gehalten werden.
Das häufigste Zuchtmittel ist die Erteilung von Auflagen. Der Richter kann dem Jugendlichen beispielsweise auferlegen:
- nach Kräften den durch die Tat verursachten Schaden wiedergutzumachen,
- sich persönlich bei dem Verletzten zu entschuldigen,
- Arbeitsleistungen zu erbringen oder
- einen Geldbetrag zugunsten einer gemeinnützigen Einrichtung zu zahlen.
Das eindringlichste Zuchtmittel ist der Jugendarrest. Jugendarrest ist in den Formen Freizeitarrest, Kurzarrest und Dauerarrest möglich. Der Freizeitarrest wird für die wöchentliche Freizeit des Jugendlichen verhängt und auf eine oder zwei Freizeiten bemessen. Unter einer Freizeit wird meist das Wochenende verstanden, weshalb auch oft von Wochenendarrest gesprochen wird. Kurzarrest wird statt des Freizeitarrests verhängt, wenn der zusammenhängende Vollzug aus Gründen der Erziehung zweckmäßig erscheint und weder die Ausbildung noch die Arbeit des Jugendlichen beeinträchtigt werden. Er kann bis zu vier Tage verhängt werden. Der Dauerarrest beträgt zwischen einer und vier Wochen.
Jugendstrafe
Die Jugendstrafe ist die schwerste Sanktionsform des Jugendstrafrechts. Es handelt sich um die klassische Freiheitsstrafe wie im Erwachsenenstrafrecht. Sie darf allerdings nur unter engen Voraussetzungen verhängt werden. Gem. § 17 Abs. 2 JGG darf der Richter sie insbesondere nur dann anordnen, wenn entweder
- wegen der schädlichen Neigungen des Jugendlichen, die in der Tat hervorgetreten sind, Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel zur Erziehung nicht ausreichen oder
- wenn wegen der Schwere der Schuld Strafe erforderlich ist.
Als schädliche Neigungen sind anlagebedingte oder durch unzulängliche Erziehung oder Umwelteinflüsse bedingte Mängel zu verstehen, die die Gefahr begründen, dass der Jugendliche ohne längere Gesamterziehung durch weitere Straftaten auffällig werden wird. Die frühere Begehung von Straftaten ist dabei grundsätzlich als ein für das Vorliegen von schädlichen Neigungen sprechendes Anzeichen anerkannt. Somit scheidet die Annahme schädlicher Neigungen in der Regel bei Ersttätern aus, aber auch bei Taten, die durch Konflikt- oder Notsituation motiviert sind.
Die Schwere der Schuld bemisst sich nach dem Gewicht der Tat und der in der Persönlichkeit des Täters begründeten Beziehung zu ihr. Entscheidend ist die innere Tatseite, also inwieweit sich die charakterliche Haltung und die Persönlichkeit sowie die Tatmotivation des Jugendlichen oder Heranwachsenden in vorwerfbarer Schuld niedergeschlagen haben. Auch wenn dem äußeren Unrechtsgehalt der Tat keine selbstständige Bedeutung zukommt, wird die Schwere der Schuld insbesondere bei Tötungsdelikten oder Delikten mit Todesfolge möglicherweise gegeben sein.
Die Jugendstrafe beträgt mindestens 6 Monate, das Höchstmaß 5 Jahre. Handelt es sich bei der Tat um ein Verbrechen, für das nach dem allgemeinen Strafrecht eine Höchststrafe von mehr als 10 Jahren Freiheitsstrafe angedroht ist, so ist das Höchstmaß 10 Jahre.
Zuständigkeit
Bei der Staatsanwalt werden die Strafverfahren gegen Jugendliche von sog. Jugendstaatsanwälten bearbeitet. Entscheiden sich diese für eine Anklage, so finden die Hauptverhandlungen vor den Jugendgerichten statt. Hierzu zählen der Jugendrichter und das Jugendgericht als besondere Abteilungen der Amtsgerichte sowie die Jungendkammer als besonderer Spruchkörper der Landgerichte. Zudem wirkt – anders als im Erwachsenenstrafrecht – die Jugendgerichtshilfe an den Strafverfahren mit, die vor allem die Persönlichkeit, aber auch den Reifegrad des Jugendlichen feststellen soll.
Besondere Verfahrensvorschriften
Richtet sich das Verfahren ausschließlich gegen Jugendliche, so ist die Öffentlichkeit generell ausgeschlossen. Bei Verfahren gegen Heranwachsende kann die Öffentlichkeit ebenfalls ausgeschlossen werden.
Besonderheiten für Heranwachsende (18-20 Jahre)
Auf Heranwachsende sind die wesentlichen für Jugendliche geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden. Ob am Ende des Verfahrens, d.h. im Rahmen der Findung einer angemessenen Sanktion, materielles Jugendstrafrecht oder Erwachsenenstrafrecht angewandt wird, hängt davon ab, ob ob der Heranwachsende von seinem Reifezustand zur Tatzeit im Hinblick auf die konkrete Tat noch einem Jugendlichen gleichzustellen war oder ob er eine jugendtypische Tat begangen hat. Sind mehrere Taten angeklagt, die der Betroffene sowohl als Heranwachsender als auch als Erwachsener begangen hat, so muss einheitlich entweder Jugendstrafrecht oder Erwachsenenstrafrecht angewandt werden.
Möglichkeiten des Anwalts im Jugendstrafrecht
Im Jugendstrafrecht kann ein Rechtsanwalt mannigfaltig für Sie bzw. Ihr Kind tätig werden. Ist der strafrechtliche Vorwurf unberechtigt erhoben, so ist eine besonders engagierte Strafverteidigung erforderlich. In vielen Strafverfahren ohne anwaltliche Beteiligung besteht die Bereitschaft, im Zweifel auch einmal einen Unschuldigen zu verurteilen, weil die Sanktionen im Vergleich zum Erwachsenenstrafrecht häufig weniger einschneidend und ein Freispruch „unter Erziehungsgesichtspunkten ungünstig“ erscheint. Die Rechte ihres Kindes, auch im Hinblick auf den in dubio-Grundsatz, müssen in diesen Fällen regelmäßig mit besonderem Nachdruck verteidigt werden.
Haben Sie bzw. hat Ihr Kind den Vorwurf bereits gegenüber der Polizei eingeräumt oder ist die Tat aus anderen Gründen nachweisbar, kommt es darauf an, frühzeitig zwischen den verschiedenen Möglichkeiten der sog. Diversion den richtigen auszuwählen, um schließlich die Verfahrenserledigung ohne Verurteilung zu erzielen.
Da die persönlichen Verhältnisse des jugendlichen Beschuldigten und die Auseinandersetzung mit der nachweisbaren Tat maßgeblich die Art und Stärke der Sanktion beeinflussen, ist es Aufgabe eines Anwalts im Jugendrecht, die persönlichen Verhältnisse festzustellen und bis zur Entscheidung über die Erledigung des Verfahrens (Abschlussentscheidung der Staatsanwaltschaft oder des Jugendgerichts) auf deren Verbesserung durch gezielte Maßnahmen hinzuwirken. Dies kann auch in einer Arbeitsaufnahme, dem Beginn einer Ausbildung oder einem Schulabschluss, in einem Täter-Opfer-Ausgleich oder einer anderen Diversionsmaßnahme bestehen. Eigentlich ist hierfür auch die Jugendgerichtshilfe zuständig, jedoch personelle nicht ausreichend ausgestattet, um Ihrem Kind die nötige Aufmerksamkeit zukommen lassen zu können. Professionelle und parteiische Begleitung des Jugendstrafverfahrens kann hier das Ergebnis regelmäßig stark im Sinne Ihres Kindes verbessern.