Am 23. Mai 2024 wurde das 75-jährige Bestehen des Grundgesetzes gefeiert. Leider zeigte sich gerade an diesem Tag, dass die Einhaltung von Grundrechten durch die Polizei auch 75 Jahre nach ihrem Inkrafttreten nicht als selbstverständlicher Mindeststandard gewährleistet ist. Die Festnahme eines Rechtsanwalts während der Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit stellt einen schweren Grundrechtseingriff dar, der generell zu unterbleiben hat. Es darf nicht sein, dass die Staatsspitze die Grundrechte feiert, während wenige Kilometer entfernt die staatlichen Akteure, die mit den Bürgerinnen und Bürgern in direkten Kontakt kommen, eben diese Grundrechte außer Acht lassen. Nach den uns vorliegenden Informationen hat sich Folgendes ereignet: Am vergangenen Mittwoch und Donnerstag besetzten Studierende das Sozialwissenschaftliche Institut der Humboldt-Universität (HU). Ein anwaltlicher Kollege und Mitglied der Vereinigung Berliner Strafverteidiger*innen fungierte an beiden Tagen als Rechtsbeistand der besetzenden Studierenden. Das Recht auf anwaltlichen Beistand besteht auch für die Protestierenden uneingeschränkt. Nach den uns bekannten Informationen war unser Kollege während der Gespräche mit dem Präsidium der HU anwesend und zudem auch durch dieses zugelassen. In Absprache mit dem Präsidium der HU sollte den Studierenden am Donnerstag die Gelegenheit gegeben werden, das Gebäude gemeinsam mit den Professor*innen geordnet und ohne polizeiliches Einschreiten zu verlassen. Trotz zunächst gewährter Zusage hinsichtlich des geplanten Ablaufs seitens der Polizeilichen Leitung wurde das Gebäude schließlich geräumt und sämtliche Personen einer Identitätsfeststellung unterzogen. Aus verschiedenen Quellen ist zu entnehmen, so berichten es etwa „Der Tagesspiegel“ und „Die Zeit“, dass die Anweisung der Räumung ausdrücklich von dem Regierenden Bürgermeister Kai Wegner und dem Senat erteilt worden sie soll. Auch dies wäre im Übrigen bereits für sich bemerkenswert, soll aber an dieser Stelle nicht vertieft werden. Wegner bestreitet mittlerweile offenbar eine Anweisung, was aber an dem Vorgehen der Polizei gegenüber unserem Kollegen auch nichts ändert. Als eine Person festgenommen wurde, wollte unser Kollege diese anwaltlich begleiten. Er wies sich dabei gegenüber den Polizeibeamten als Rechtsanwalt aus. Er teilte mit, dass er als Rechtsbeistand der Studierenden mit ausdrücklicher Zustimmung des Präsidiums der HU im Gebäude anwesend gewesen sei. Dennoch schreckten die Strafverfolgungsbehörden nicht davor zurück, den Kollegen festzunehmen. Als er forderte, zu benennen, was ihm vorgeworfen wird (Teil des Grundrechts auf rechtliches Gehör und des grundrechtlichen Rechtsstaatsprinzips), konnte man ihm das offenbar nicht sagen. Später belehrte man ihn als Beschuldigten wegen schweren Landfriedensbruchs. Außerdem wurde er einer erkennungsdienstlichen Behandlung unterzogen. Im Anschluss wurde ihm sogar noch – auch dies offensichtlich in Kenntnis seiner Eigenschaft als vor Ort tätiger Rechtsanwalt – ein Platzverweis für die nächsten 24 Stunden erteilt. Diese Maßnahmen ergingen offenbar, oder dass sein besonderer rechtlicher Status als dort beruflich tätiger Rechtsanwalt irgendwie berücksichtigt wurde. Dieses uns mitgeteilte Vorgehen verstößt aus unserer Sicht gegen gleich mehrere Grundrechte: Zum einen stellt es einen schweren Eingriff in die von Art. 12 GG geschützte Berufsfreiheit der Rechtsanwält*innen dar, der unter keinem Gesichtspunkt zu rechtfertigen ist. Es muss offenbar daran erinnert werden, dass bereits in den 1970er Jahren das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entschieden hat, dass die berufliche Tätigkeit von Anwälten besonders geschützt ist und daher etwa ein Ausschluss von Anwält*innen aus Verfahren ohne gesetzliche Grundlage verfassungswidrig ist. § 3 Abs. 2 der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO), hält folgerichtig fest, dass das Recht der Anwaltschaft, in Rechtsangelegenheiten aller Art und auch gegenüber Behörden wie der Polizei beruflich tätig zu werden, nur durch ein Bundesgesetz beschränkt werden darf. Eine solche gesetzliche Grundlage ist hier nicht zu erkennen. Zudem bedeutet die Festnahme eines Rechtsanwalts zugleich regelmäßig, dass auch den von ihm beratenen Personen der Rechtsbeistand entzogen wird. Damit wird zusätzlich bei derartigen Maßnahmen immer auch in deren Grundrechte schwerwiegend eingegriffen. Der Bundesgerichtshof (BGH) führte dazu in den 1980er Jahren aus, dass etwa das Recht auf umfassende Verteidigung im Strafverfahren Verfassungsrang hat: „Es gehört zu den elementaren Attributen menschlicher Würde und zu den fundamentalen Prinzipien des Rechtsstaats“. Betroffen sind des Weiteren das grundgesetzliche Rechtsstaatsprinzip, das Recht auf ein faires Verfahren und das Recht auf rechtliches Gehör. Daher führt eine Kriminalisierung von Rechtsanwält*innen bei der grundrechtlich gewährleisteten Ausübung ihres Berufes zur Missachtung des Rechts auf rechtlichen Beistand insgesamt. Wir wenden uns entschieden gegen das Vorgehen der Strafverfolgungsbehörden und fordern von sämtlichen Akteur*innen und Institutionen in unserem Rechtsstaat, dem Grundgesetz nicht nur am 23. Mai durch Festakte zu gedenken, sondern sondern dafür zu sorgen, dass dieses an jedem Tag im Jahr auch eingehalten wird. Wir fordern, uneingeschränkt die verfassungsrechtlich verankerte Berufsfreiheit für Rechtsanwält*innen anzuerkennen. Der Vorwurf gegen den Rechtsanwalt muss vor diesem Hintergrund sofort fallengelassen und die Hintergründe dieses Vorgehens müssen unverzüglich und transparent für die Öffentlichkeit aufgeklärt werden. Dies dürfte das Grundgesetz weit mehr ehren als jeder Festakt. Damit auch die Berliner Polizei sagen kann: „Grundgesetz: Da für Dich, 365 Tage im Jahr“. (Pressemitteilung des Vorstands der Vereinigung Berliner Strafverteidiger*innen e.V.) |