Leitsatzentscheidung BGH: Abgrenzung: Scheinselbstständige Rechtsanwälte – Freie Mitarbeiter und Auswirkung von Beitragszahlungen von Schwarzarbeitern und illegal Beschäftigten

Mit dem Urteil vom 8. März 2023 setzt sich der erste Senat des BGH mit der Abgrenzung von scheinselbstständigen Rechtsanwälten und freien Mitarbeitern sowie mit der Berücksichtigung von Beitragszahlungen von Schwarzarbeitern und illegal Beschäftigten, aufgrund einer mit dem Arbeitsgeber getroffenen Vereinbarung, im Rahmen des § 266a StGB auseinander.

Im verfahrensgegenständlichen Geschehen beschäftigte ein Rechtsanwalt zwölf Rechtsanwälte als freie Mitarbeiter. Diesen wies der Angeklagte Mandate zu, sie nutzten die Büroräume der Kanzlei und arbeiteten dort 40 bis 60 Stunden pro Woche. Überdies war es den freien Mitarbeitern aufgrund umfassender Zustimmungsvereinbarungen, faktisch nicht möglich, Mandate außerhalb der Kanzlei anzunehmen. Der angeklagte Rechtsanwalt wurde vom Landgericht zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung und einer Geldstrafe von 300 Tagessätzen zu je 200 Euro wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt, aufgrund des Nichtzahlens von Sozialversicherungsbeiträgen in Höhe von ungefähr 120.000,00 Euro verurteilt.

  • Abgrenzung von scheinselbstständigen Rechtsanwälten und freien Mitarbeitern

Für die Abgrenzung ist nicht allein auf den Arbeitsvertrag abzustellen. Maßgebend ist vielmehr das Gesamtbild der Arbeitsleistung (BGH, Urteil v. 8. März 2023 – 1 StR 188/22; BSG, Urteil v. 4. Juni 2019 – B 12 11/ 18 R, BSGE 128, 191 Rn. 4). Sind die Kriterien der Weisungsgebundenheit und der Eingliederung im Einzelfall nicht hinreichend trennscharf und aussagekräftig, müssen bei der Gesamtbetrachtung die übrigen Merkmale stärker berücksichtigt werden. Insbesondere ist dabei auf das eigene Unternehmerrisiko und die Art der vereinbarten Vergütung abzustellen. Kein Tragen des Verlustrisikos, keine Gewinnbeteiligung und der Erhalt von Entgelt als Gegenleistung für geschuldete Arbeitsleistung sprechen gegen einen freien Arbeitsvertrag.

Im Verfahren stimmte der erste Senat dem Landgericht zu, dass als Indiz gegen die freie Mitarbeit, die im Arbeitsvertrag der Rechtsanwälte fest vereinbarten Jahreshonorare als Gegenleistung für die volle Arbeitsleistung von 40 bis 60 Stunden pro Woche angesehen werden können. Überdies konnten die Anwälte aufgrund vertraglich vereinbarter Zustimmungserfordernisse faktisch kein eigenes Personal beschäftigen, keine Mandanten außerhalb der Kanzlei vertreten und keine Werbung in eigener Sache vornehmen. Im Übrigen hätte dem Angeklagten hinsichtlich der Rechtsanwälte ein von ihm ausgeübtes Weisungsrecht zugestanden bezüglich Arbeitszeiten, Ort, Art und Inhalt der Tätigkeit der Rechtsanwälte. (BGH, Urteil v. 8. März 2023 – 1 StR 188/ 22, Fn. 16).

  • Beitragszahlungen von Schwarzarbeitern und illegal Beschäftigten

In der Urteilsbegründung stellt der BGH fest, dass Beitragszahlungen von Schwarzarbeitern und illegal Beschäftigten aufgrund einer mit dem Arbeitgeber getroffenen Vereinbarung nicht bereits die Tatbestandsmäßigkeit des § 266a Abs. 1 und 2 StGB entfallen lassen, sondern erst auf Ebene der Strafzumessung zu berücksichtigen sind.

§ 266a Abs. 1 StGB ist ein echtes Unterlassensdelikt, welches bereits bei bloßer Nichterfüllung eines Handlungsgebots bei Handlungsfähigkeit tatbestandsmäßig ist. Dies ist in der Sache durch die schlichte Nichtzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen gegeben.

Dies soll jedoch nicht für Beitragszahlungen, die ein Dritter aufgrund einer mit dem Arbeitgeber getroffenen Vereinbarung leistet, gelten. In diesem Fall soll der Tatbestand entfallen (vgl. BGH, Urteil v. 13. Juni 2001 – 3 StR 126/01 Rn. 9). In der entscheidungsgegenständlichen Sache ist dies nicht gegeben, da Schwarzarbeiter und illegal Beschäftigte keine Dritte in diesem Sinne sind.

Weiterhin wird ausgeführt, dass Schwarzlohn oder vergleichbare Abreden zum Nachteil der beschäftigten Arbeitnehmer von sozialrechtlichen Vorschriften abweichen und nach § 32 Abs. 1 SGB I nichtig seien. Diese Zahlungen aufgrund einer verbotenen Vereinbarung ließen den Tatbestand jedoch nicht entfallen. Gleiches gelte auch für § 266a StGB, denn das Beitragsaufkommen werde weder durch den Abschluss einer nichtigen Vereinbarung noch durch Zahlungen der illegal Beschäftigten gesichert, die sich freiwillig für eine Mitgliedschaft in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung entscheiden.

Mithin bleibt die Tatbestandsmäßigkeit bestehen und dass Arbeitnehmer ihre Sozialabgaben selbst zahlen, kann nur auf Ebene der Strafzumessung berücksichtigt werden.

Quelle: BGH, Urteil vom 8. März 2023 – 1 StR 188/22, BeckRS 2023, 10741