Anklage

Erpresserischer Menschenraub durch Vorhalten einer Schusswaffe mit Schaden über 60.000 € – Anklage zur Großen Strafkammer, Verurteilung zu Geldstrafe durch das Amtsgericht

Ausgangslage:

Der Mandantin wurde von der Staatsanwaltschaft vorgeworfen, zusammen mit mehreren Mittätern einen Geschäftspartner zunächst mit einer Schusswaffe bedroht und anschließend über mehrere Stunden in verschiedenen Wohnungen unter Kontrolle gehalten zu haben. Hintergrund war ein Streit über ein Maskengeschäft mit einem Volumen von Hunderttausenden FFP-2-Masken, für die die Mandantin angeblich bezahlt hatte, das Geld aber zurückverlangte. Während der Gefangenschaft sollen Bargeld und Wertgegenstände im Wert von über 60.000 € entwendet worden sein.

Die Staatsanwaltschaft ging von einem schwerwiegenden Tatgeschehen aus und erhob daher Anklage zum Landgericht – Große Strafkammer, unter anderem wegen erpresserischen Menschenraubs (§ 239a StGB) in Mittäterschaft. Bei einer solchen Anklage beträgt die gesetzliche Mindeststrafe fünf Jahre Freiheitsstrafe. Zudem wurde der Vorwurf des Diebstahls erhoben.

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Verteidigung und Eröffnungsentscheidung: Warum das Landgericht nach unten eröffnete

Strafverteidiger Rechtsanwalt Stern führte mit der Mandantin sechs ausführliche Gespräche unter Einsatz von verschiedenen Dolmetscherinnen, um das tatsächliche Geschehen aus der Sicht der Mandantin zu rekonstruieren. Auf Grundlage dieser Gespräche erarbeitete er eine schriftliche Stellungnahme, in der er die rechtliche Einordnung als erpresserischer Menschenraub sowie als Geiselnahme substantiell in Frage stellte.

Zentraler Verteidigungsansatz war es, dass die Mandantin von ihrem Geschäftspartner mehrmals getäuscht worden war, vom Vertrag zurücktreten und lediglich ihrer Forderung auf Rückzahlung der Anzahlung Nachdruck verleihen wollte. Wer eine Forderung hat, kann (in Höhe der Forderung) keinen Erpressung begehen.

Rechtsanwalt Stern setzte sich auch mit dem Vorwurf der Geiselnahme auseinander.

Die Vorschrift der Geiselnahme (§ 239b Abs. 1 StGB) setzt voraus, dass das Opfer während der gesamten sogenannten Bemächtigungslage zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung genötigt wird.

Nach Darstellung der Mandantin war jedoch zu keinem Zeitpunkt eine durchgehende, ausgenutzte Bemächtigungslage gegeben. Vielmehr erfolgten etwa das Verlangen nach Unterschrift des Schuldscheins oder die begehrte Rückzahlung des Geldes zeitlich und räumlich getrennt von der eigentlichen Freiheitsentziehung, sodass die Anforderungen an eine strafbare Geiselnahme ebenfalls nicht erfüllt waren.

Auf dieser Grundlage beantragte Rechtsanwalt Stern eine Eröffnung nicht vor dem Landgericht, sondern vor dem Amtsgericht – Schöffengericht. Das Gericht folgte der Argumentation der Verteidigung und eröffnete das Verfahren entsprechend „nach unten“ gemäß § 207 Abs. 2 StPO.

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Verlauf der Hauptverhandlung: Zunächst kein Deal

Bereits vor Beginn der Hauptverhandlung bot das Gericht im Rahmen eines Erörterungsgesprächs eine Bewährungsstrafe an. Rechtsanwalt Stern lehnte dies mit Blick auf die Rechtslage und die Schwächen der Anklage entschieden ab und schlug stattdessen eine Geldstrafe wegen Freiheitsberaubung, Bedrohung und Nötigung vor. Eine Verständigung kam nicht zustande.

In der zweiten Hauptverhandlungssitzung wurde der mutmaßlich Geschädigte als Zeuge vernommen. Unter der Befragung durch die Verteidigung verwickelte sich dieser in zahlreiche Widersprüche, die er nicht auflösen konnte. Dies führte dazu, dass die Glaubwürdigkeit seiner Aussage erheblich erschüttert wurde.

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Ergebnis: Geldstrafe statt Freiheitsstrafe – und Verfahrenseinstellung beim Diebstahl

Das Gericht folgte der Argumentation der Verteidigung. Es verurteilte die Mandantin nicht wegen erpresserischen Menschenraubs, sondern lediglich wegen Nötigung (§ 240 StGB) und Freiheitsberaubung (§ 239 StGB) zu einer Geldstrafe.

Die Vorwürfe des Diebstahls – sowohl hinsichtlich des Tresorinhalts als auch der angeblich entwendeten Gegenstände aus dem Fahrzeug des Geschäftspartners – konnten der Mandantin nicht mit der nötigen Sicherheit nachgewiesen werden und wurden daher eingestellt.

Dieses Verfahren zeigt, wie wichtig eine fundierte strafrechtliche Analyse auch bei schwerwiegenden Vorwürfen ist. Durch eine präzise Auseinandersetzung mit den tatbestandlichen Voraussetzungen des § 239a und § 239b StGB konnte eine Strafkammerverhandlung mit hoher Mindestfreiheitsstrafe vermieden und eine deutlich mildere Sanktion erreicht werden.

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StA Berlin: Neue Schwerpunktstaatsanwaltschaft für EncroChat-Verfahren

Es war eine Frage der Zeit: Nach einem Bericht von LTO hat die Staatsanwaltschaft Berlin eine neue Schwerpunktabteilung für EncroChat-Verfahren gegründet, in der neben dem Abteilungsleiter sieben Staatsanwälte tätig sein sollen. Aktuell seien 80 Ermittlungsverfahren anhängig, in zehn Fällen sei Anklage erhoben worden, in fast jedem Fall zum Landgericht.

EncroChat war ein in Europa ansässiger Dienstleistungsanbieter, der Lösungen für Ende-zu-Ende verschlüsselte Instantmessenger und Endgeräte (Krypto-Handys) anbot. Im Frühsommer 2020 infiltrierten französische Ermittlungsbehörden das System und fischten Millionen Nachrichten, zuweilen auch aus kriminellen Milieus, ab. Danach nahm die Bedeutung von EncroChat erheblich ab.

Über die Verwertbarkeit der Erkenntnisse ist noch nicht abschließend entschieden worden. Das Landgericht Berlin hatte 2021 in einem mutigen Beschluss die Verwertbarkeit verneint, das Kammergericht (und andere Oberlandesgerichte) sah es jedoch anders.

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Anklageerhebung Cyberkriminalität („App-Tester“)

Die Staatsanwaltschaft Osnabrück – Zentralstelle Internet- und Computerkriminalität (Cybercrime) – hatte im März 2020 Anklage gegen drei junge Männer im Alter zwischen 19 und 22 Jahren u.a. wegen des Verdachts der gewerbsmäßigen Fälschung beweiserheblicher Daten und gewerbsmäßigen Betruges zum Landgericht Osnabrück erhoben.

In der Anklageschrift wird den drei Beschuldigten unter anderem zur Last gelegt, zwischen April und Oktober 2019 zunächst in 18 Fällen über das Internet vermeintliche „App-Tester“ von Banking-Apps angeworben zu haben, denen vorgetäuscht wurde, sie sollten auf Basis einer geringfügigen Nebenbeschäftigung die Banking-Apps bzw. den Service der N26-Bank oder der Postbank testen und bewerten. Tatsächlich eröffneten die „App-Tester“ jedoch unwissentlich auf den eigenen Namen für die Beschuldigten Bankkonten. Die Konten wurden anschließend in 140 Fällen als Empfangskonten für Zahlungen aus betrügerischen Verkaufsinseraten bei Internetportalen durch die Beschuldigten genutzt, wodurch ein Schaden in Höhe von ca. 85.000,00 € entstand. Die überwiesenen Gelder wurden anschließend in Bitcoins umgewandelt.

Neben diesen Taten werden den Beschuldigten in der Anklage teilweise auch noch für weitere Taten vorgeworfen. Dabei handelt es sich beispielsweise um weitere Betrugstaten, Urkundenfälschung, Verstoß gegen das Waffengesetz und Fahren ohne Fahrerlaubnis.

Die Beschuldigten, die bemüht waren, ihre Identität im Internet durch technische Maßnahme zu verbergen, konnten nach intensiven gemeinsamen Ermittlungen mit der Zentralinspektion Oldenburg -Task Force Cybercrime / Digitale Spuren- identifiziert und am 09.10.2019 im Raum Köln/Bonn festgenommen werden. Ein Beschuldigter befindet sich weiterhin in Untersuchungshaft. Die Haftbefehle gegen die beiden anderen Beschuldigten wurden außer Vollzug gesetzt.

Der erste Hauptverhandlungstermin vor dem Landgericht Osnabrück – Große Jugendkammer ist für den 04.06.2020 angesetzt.

Das Verfahren ist insofern interessant, als wir im Büro häufig Mandanten haben, die als vermeintliche App-Tester engagiert worden sind und gegen die nun Strafverfahren wegen Betrugs und Geldwäsche geführt werden. Je nachdem ob die Staatsanwaltschaft von der „Masche“ schon gehört hat oder nicht, ist es leichter oder schwieriger, die Staatsanwaltschaft zur Einstellung zu bewegen.

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