Die gute Seite des Virus

Man soll bekanntlich immer auch das Gute im Schlechten sehen. Drum wollen wir nicht unerwähnt lassen, dass der Berliner Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) im Zuge der Aufarbeitung des Hacks auf das Berliner Kammergericht zugesagt hat, alle Berliner Richter mit einem Laptop auszustatten. Selbstverständlich ist das der richtige Weg. Man wird allenfalls aufpassen müssen, dass die Rechner wirklich nur zu Arbeitszwecken genutzt werden.

Bild: Markus Spiske

Nach einem Bericht der Morgenpost scheint allerdings noch unklar zu sein, bis wann die 1.600 Geräte angeschafft sein sollen. „Schrittweise“ ist auch hier das Zauberwort. Die Zahl der wieder ans Landesnetz angeschlossenen neuen Geräte für das KG werde beispielsweise zeitnah von 30 auf 60 erhöht. Wow.

Dass Hardware nicht alles ist, zeigt hingegen eine andere schöne Zahl: 1995. Aus diesem Jahr soll nämlich die Textverarbeitungssoftware stammen, die am Kammergericht eingesetzt worden sei.

2 comments

Jetzt spiele ich mal den Advocatus Diaboli: was ist so schlimm an einer Textverarbeitungssoftware aus dem Jahr 1995? Es ist doch so, dass durch den Feature Bloat (Office-Makros) überhaupt erst ein Einfallstor für Trojaner geschaffen wurde.

LaTeX stammt aus den 80ern und wird von Menschen, die im Schnitt deutlich intelligenter sind als Juristen, nahezu täglich verwendet (und das sage ich, obwohl ich selber einer bin). Ähnliches gilt für Vim (1991), Emacs (1976).

Mal die Gegenfrage: wann hat man zuletzt etwas von einer Trojanerwelle gehört, die etwa Markdown-Parser befallen hat? Die Komplexität ist der Feind, und wenn die Software aus den 90ern tut, was sie soll, und sicher ist – so be it. Nur weil Software alt ist, ist sie nicht unbedingt schlecht.

Das Problem ist, dass jeder Trottel, der zuhause halbwegs unfallfrei seine Windows-Möhre betreiben kann, meint, mitreden zu können. Heraus kommt: natürlich(!) Windows + Office + Exchange + ganz wichtig: Virenschutz.

Vielen Dank für den konstruktiven Kommentar. Jetzt kommt die langweilige Antwort:

Software von 1995 ist in erster Linie ein Symptom für eine allgemeine Vernachlässigung der IT-Ausstattung im öffentlichen Dienst. Natürlich kann eine Textverarbeitung von 1995 tolle Sachen (und gerade für die Erstellung von Urteilen reicht ja prinzipiell auch eine Schreibmaschine mit Copy+Paste-Funktion. Aber wenn man im Gericht anfängt ein Urteil zu tippen und dann zu Hause weiterarbeiten will (mit nem aktuellen Word) und dann im Gericht weitertippt, dann sieht das Dokument eben nicht mehr so aus wie erwünscht. Von den aktuellen Möglichkeiten der Kooperation innerhalb eines Dokumentes mal ganz abgesehen. Und wenn man mal ein Word-Problem hat und im Internetforen um Hilfe sucht, bezweifle ich, dass die Fehlerlösung für Office 1995 (oder was auch immer da im Einsatz war) beschrieben ist. Und falls es sogar Open Office war, muss man doch einräumen: Damit macht es einfach keinen Spaß.

Auch ich habe schon mit/in(?) Latex Hausarbeiten getippt. Sieht schick aus. Aber welchen normalen Juristen will man mit welchen Erfolgsaussichten davon überzeugen? Oder gar Geschäftsstellenmitarbeiter? Vielen klicken doch selbst in Word erst dann auf einen Knopf, wenn es in einer Schulung behandelt worden ist.

Dass mit der massenhaften Verwendung eines (Microsoft-)Programms die Gefahr eines Virusangriffs steigt, ist auch klar. Natürlich gibt es keine Trojaner für Markdown-Parser, weil man mit Trojaner-Angriffen unter Ausnutzung massenhaft genutzter Software ein Vielfaches an Menschen erreicht. Coca Cola wirbt ja auch in der Bild, nicht im Anwaltsblatt. Andererseits habe ich die Berichterstattung ohnehin bislang so verstanden, dass (wie eigentlich immer) ein E-Mail-Anhang das Einfallstor war.

Office 1995 ist aber nicht nur ein Symptom. Das Programm muss ja auf einer Windows-Version laufen (oder auf welchem Betriebssysstem auch immer), für das es noch Updates gibt, die Sicherheitslücken schließen. Ich kann mir das nicht vorstellen, dass ein aktuelles Betriebssystem noch mit einem 24 Jahre alten Programm funktioniert. Aber ich weiß es natürlich nicht genau.

Und schließlich: Wenn WindowsExchange-Server+Office+Virenschutz für normale Menschen ohne IT-Kenntnisse funktionieren, dann ist doch alles prima 😉

Schreibe einen Kommentar zu stern Antworten abbrechen