Unser Mandant wurde durch das Landgericht Berlin wegen gefährlicher Körperverletzung und wegen Diebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und einer Woche verurteilt.
Das Landgericht stellte in seinem Urteil folgendes Tatgeschehen fest:
Unser Mandant habe sich eines Tages mit einem Freund in einem Park in Berlin getroffen und mit diesem bis in die Abendstunden mehrere Flaschen Bier aus Trauer um seine verstorbene Schwester und den Verlust seines Arbeitsplatzes getrunken. Infolge des Alkoholgenusses hätten auf unseren Mandanten 2,37 Promille eingewirkt.
Gegen 22:00 Uhr habe sich unser Mandant von seinem Freund getrennt und sei mit schwankendem Gang durch den Park gelaufen, als er auf den Zeugen und dessen Tochter getroffen sei. Der Zeuge, der nicht über ausreichende Deutschkenntnisse verfügt habe, habe in polnischer Sprache ein Streitgespräch mit seiner Tochter geführt, da sie entgegen seiner Anweisung zuvor in der Dunkelheit durch den Park nach Hause gelaufen sein soll. Der Zeuge sei als Erziehungsmaßnahme mit ihr noch einmal in den Park gegangen, um zu demonstrieren, wie gefährlich es dort nachts sein könne. Auf das Streitgespräch aufmerksam geworden, habe unser Mandant, der den beiden Zeugen entgegengekommen sei, den Eindruck gewonnen, dass das Mädchen nicht zu dem Zeugen gehören würde und habe beabsichtigt, ihr zu helfen.
Ohne äußeren Anlass sei die Stimmungslage unseres Mandanten jedoch alsbald in Aggression umgeschlagen, vermutlich aus denselben Gründen, aus denen er zuvor Alkohol getrunken habe. Er habe begonnen lautstark in Richtung der Zeugen zu schreien, woraufhin diese kehrtgemacht und sich zurück nach Hause begeben haben. Unser Mandant sei den beiden jedoch gefolgt und habe sie aufgefordert, stehenzubleiben, so dass der Zeuge, welcher aufgrund einer Unterschenkelthrombose in seiner Fortbewegung eingeschränkt gewesen sei, schließlich stehen geblieben sei und unseren Mandanten auf Deutsch gefragt habe, was los sei. Daraufhin habe unser Mandant aus ca. sechs Metern Entfernung zwei Bierflaschen in Richtung beider Zeugen geworfen, ohne diese zu treffen.
Unser Mandant habe wiederholt geäußert, dass das Mädchen nicht die Tochter des Zeugen sei und habe ohne nennenswerten Zeitaufwand aus seiner mitgeführten Tasche ein Messer mit einer Klingenlänge von ca. 8 cm genommen. Er sei sodann, das Messer in der Hand haltend, auf die Zeugen zugegangen und habe den Zeugen aufgefordert, sich auf den Boden zu knien, was das Mädchen ihrem Vater auf Polnisch übersetzt habe. Trotz mehrfacher Bestätigungen beider Zeugen, dass das Mädchen die Tochter des Zeugen sei, habe unser Mandant an seiner Forderung festgehalten, bis sich der Zeuge schließlich auf den Boden gekniet und seine Tochter gebeten habe, nach Hause zu laufen und Hilfe zu holen, woraufhin sie sich vom Ort des Geschehens entfernt habe. Damit sei für unseren Mandanten erkennbar die aus seiner Sicht bestehende Gefährdungslage des Mädchens beendet gewesen.
Nunmehr habe unser Mandant dem sich auf den Boden knienden Zeugen in das Gesicht geschlagen, woraufhin dieser zu Boden gefallen sein soll. Daraufhin habe sich unser Mandant auf den Zeugen gesetzt, mehrfach auf diesen eingeschlagen und ihn wiederholt mit dem Messer in den Oberkörper und Kopfbereich gestochen, wodurch er den Zeugen verletzt habe. Erst nachdem es dem Zeugen, welcher sich gegen den Angriff gewehrt habe und dem Mandanten hierbei die Nase gebrochen habe, schließlich gelungen sei, mit der rechten Hand die Klinge des Messers zu ergreifen und es ihm zu entwinden, habe der Mandant von ihm abgelassen.
Anschließend habe unser Mandant aufgrund eines spontan gefassten Entschlusses das Handy der Tochter, welches dem Zeugen während der Auseinandersetzung aus der Hosentasche gefallen sein soll, an sich genommen und es in seine Hosentasche gesteckt. Sodann habe sich unser Mandant entfernt und geschrien, man solle die Polizei und einen Rettungswagen rufen.
Der Mandant habe sich später auf eine Bank vor dem Park gesetzt, wo er mit großflächigen Blutanhaftungen von zwei Polizeibeamten festgestellt worden sei. Unser Mandant habe spontan zunächst geäußert, er habe nur helfen wollen und habe mit einem Messer mehrere Personen verletzt. Im weiteren Verlauf habe er angegeben, er sei mit drei Russen in Streit geraten und habe sich mittels deren Messer verteidigt, wobei er zwei Personen verletzt habe. Die Polizeibeamten hätten dabei einen aufgelösten und weinerlichen Eindruck von dem Mandanten, der geschwankt und eine verwaschene Aussprache gehabt habe, gewonnen.
Nachdem unserem Mandanten der Tatverdacht eröffnet und er vorläufig festgenommen worden sei, sei seine Stimmungslage in der Gestalt gekippt, dass er sich den Polizeibeamten gegenüber nunmehr verbal aggressiv verhalten und sie beschimpft haben soll. Nachdem in seiner Hosentasche sowohl sein eigenes als auch das Handy der Tochter des Zeugen sichergestellt worden sei, habe er geäußert, dass er das letztgenannte nicht kenne.
Der schwerverletzte Zeuge sei durch einen Rettungswagen in ein Krankenhaus verbracht worden und habe sich für einige Tage in stationärer Behandlung befunden. Aufgrund einer Stichverletzung des linken Augenlides sei er notoperiert worden, wobei eine Rekonstruktion des Augapfels vorgenommen und das Augenlid genäht worden sei. Der Zeuge habe auf diesem Auge nur noch 60 % der Sehstärke. Daneben habe der Zeuge eine ca. 1,5 cm große Stichverletzung unterhalb des rechten Ohres erlitten, wodurch eine rechtseitige Gesichtsnervlähmung aufgetreten sei, in deren Folge er die rechte Gesichtsmuskulatur nicht mehr habe bewegen können, das rechte Augenlid nicht mehr habe vollständig schließen können und mit dem rechten Auge Doppelbilder gesehen habe.
Der Zeuge habe zudem Hautabschürfungen im Bauchbereich sowie oberflächliche Schnittverletzungen im Kinnbereich, am Hals, Brustkorb und an den Armen erlitten. Durch das Entwinden des Messers habe der Zeuge eine Schnittverletzung in der rechten Handinnenfläche davongetragen. Auf dem linken Handrücken habe er infolge einer Schnittverletzung eine Strecksehnenverletzung und Verletzungen der Fingernerven erlitten. Infolge dieser Verletzung habe er seine Hand nicht mehr vollständig schließen können. Er habe sich deswegen in Behandlung in Form einer Physiotherapie und Massagen befunden.
Der Zeuge habe zudem psychisch unter dem Tatgeschehen und unter Angstzuständen gelitten, weswegen er sich in psychotherapeutische Hilfe begeben habe. Im Laufe der Hauptverhandlung nahm sich der Zeuge das Leben.
Nach Verkündung des hiesigen Urteils legte Rechtsanwalt Stern im Auftrag unseres Mandanten Revision ein und beantragte, das angefochtene Urteil mit den Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts Berlin zurückzuverweisen.
Obwohl der Generalbundesanwalt beantragte, die Revision als unbegründet zu verwerfen, folgte der Strafsenat des BGH dieser Entscheidung nicht und überprüfte das Urteil auf Rechtsfehler und etwaige Verfahrenshindernisse.
In der Revisionsbegründung wurde vorgetragen, dass die mit der Sachrüge zulässig geführte Revision sogar zur Einstellung des Verfahrens wegen eines Verfahrenshindernisses führe. Es fehle an einem wirksamen Eröffnungsbeschluss, weil den Eröffnungsbeschluss nur die Beisitzer, nicht aber der Vorsitzende unterschrieben hätte.
Zur Eröffnung des Hauptverfahrens gemäß § 203 StPO genügt eine schlüssige und eindeutige Willenserklärung des Gerichts, die Anklage nach Prüfung und Bejahung der Eröffnungsvoraussetzungen zur Hauptverhandlung zuzulassen (BGH, Beschluss vom 4. August 2016 –4 StR 230/16, NStZ 2016, 747 m.w.N.). Der Eröffnungsbeschluss muss schriftlich abgefasst werden (vgl. BGH, Beschlüsse vom 17. Oktober 2013 – 3 StR 167/13, NStZ 2014, 400 f.; vom 21. Oktober 2020 – 4 StR 290/20, NStZ 2021, 179, jeweils m.w.N.).
Die Entscheidung über die Eröffnung des Verfahrens und die Zulassung der Anklage vor einer Großen Strafkammer ist jedoch mit drei Berufsrichtern in der Besetzung außerhalb der Hauptverhandlung zu treffen (§ 199 Abs. 1 StPO i.V.m. § 76 Abs. 1 S. 2 GVG). Wirken an der Eröffnungsentscheidung weniger Berufsrichter mit, ist sie unwirksam (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Juli 2019 – 4 StR 310/19 m.w.N.). Das Fehlen eines wirksamen Eröffnungsbeschlusses stellt ein in diesem Verfahren nicht mehr behebbares Verfahrenshindernis dar, das die Einstellung des Verfahrens zur Folge hat (vgl. BGH, a.a.O.).
Der Bundesgerichtshof konnte nicht hinreichend sicher feststellen, dass das Landgericht eine wirksame Eröffnungsentscheidung getroffen hatte, da der schriftliche Eröffnungsbeschluss nur von von zwei Berufsrichtern unterschrieben worden war.
Fehlt – wie hier – eine Unterschrift auf dem Eröffnungsbeschluss, muss anderweitig nachgewiesen sein, dass der Beschluss von allen hierzu berufenen Richtern gefasst worden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 29. September 2011 – 3 StR 280,11, NStZ 2012, 225). Dies setzt eine mündliche Beschlussfassung oder eine zu verstehende gemeinsame Besprechung oder Beratung über die Eröffnung voraus (vgl. BGH, Beschluss vom 13. März 2014 – 2 StR 516/13).
Wird der Beschluss im Umlaufverfahren – also im Wege einer schriftlichen Beratung und Abstimmung aufgrund eines Entscheidungsvorschlags (BVerwG, Beschluss vom 23. September 1991 – 2 B 99/91, NJW 1992, 257) – getroffen, führt das Fehlen einer Unterschrift zu dessen Unwirksamkeit, denn es handelt sich bis zur Unterzeichnung durch alle Richter lediglich um einen Entwurf (vgl. BGH, Beschlüsse vom 17. Oktober 2013 – 3 StR 167/13, NStZ 2014, 400 f., vom 29. September 2011 – 3 StR 280/11, NStZ 2012, 225).
Im Ergebnis hatte das Fehlen des wirksamen Eröffnungsbeschlusses die Einstellung des Verfahrens nach § 206a Abs. 1 StPO zur Folge. Zur Klarstellung hob der Senat das angegriffene Urteil mit den Feststellungen auf.
Das Verfahren ist nicht rechtskräftig abgeschlossen. Die Staatsanwaltschaft hat erneut Anklage erhoben, allerdings aufgrund des Zeitablaufs nicht mehr zur Großen Strafkammer (Landgericht), sondern zum Schöffengericht. Die erneute Hauptverhandlung kann sich schwierig gestalten, da der Belastungszeuge nicht mehr zur Verfügung steht.