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Staatsanwaltschaft Braunschweig erhebt Anklage gegen Volkswagenmanager wegen Untreue im Zusammenhang mit der Vergütung der Betriebsräte

Die Staatsanwaltschaft Braunschweig hat gegen zwei ehemalige Vorstandsmitglieder sowie einen ehemaligen und einen aktuellen leitenden Manager der Volkswagen AG Anklage wegen Untreue bzw. Untreue im besonders schweren Fall zum Nachteil des Volkswagenkonzerns vor dem Landgericht Braunschweig erhoben.

Den Angeschuldigten wird vorgeworfen, als jeweilige Personalvorstände bzw. Leiter des Personalwesens für die Konzernmarke Volkswagen zwischen Mai 2011 und Mai 2016 mehreren Betriebsratsmitgliedern überhöhte Gehälter und Boni gewährt zu haben, wodurch dem Volkswagen-Konzern ein Schaden in Millionenhöhe entstanden sei. Zum Hintergrund: Die Angeschuldigten waren in ihren jeweiligen Positionen mitverantwortlich für die Festlegung der Gehälter und Bonuszahlungen der Betriebsratsmitglieder. Bei der Entscheidung über die jeweilige Eingruppierung bzw. Gehaltsanhebung sowie über die Höhe der Jahres-Bonuszahlungen folgten die Angeschuldigten stets den Vorschlägen der sog. „Kommission Betriebsratsvergütung“, der sie selbst angehörten. Außer ihnen waren auch der Vorsitzende des Konzernbetriebsrates und dessen Stellvertreter Mitglieder dieser Kommission, die damit über ihre eigene Vergütung entschieden. Auf diese Weise sollen die Angeschuldigten in den Jahren 2011 bis 2016 für insgesamt fünf Betriebsratsmitglieder, darunter dem Betriebsratsvorsitzenden, entgegen den Regeln des Betriebsverfassungsgesetzes überhöhte Gehälter und Boni gewährt haben. Im Widerspruch zu den Bestimmungen des Betriebsverfassungsgesetzes sollen die Angeschuldigten bei der Bestimmung des Entgelts der Betriebsratsmitglieder für diese bewusst eine unzutreffende Vergleichsgruppe zu Grunde gelegt haben. Die Vergleichsgruppen seien dabei so gewählt worden, dass ein höheres Gehalt gerechtfertigt erschien, obgleich die Angeschuldigten gewusst hätten, dass dies tatsächlich nicht der Fall war und die überhöhten Zahlungen den Betriebsräten nur aufgrund ihrer jeweiligen Position im Betriebsrat gewährt wurden.Die Angeschuldigten hätten dadurch wissentlich Zahlungen gewährt, die ihnen nach Nr. 4.3.2. des „Deutschen Corporate Governance Kodex“ sowie § 93 Aktiengesetz verboten waren.

Durch die überhöhten Zahlungen, auf die die Betriebsratsmitglieder keinen Anspruch hatten, sei der Volkswagen AG ein Schaden in Höhe der jeweiligen Überzahlungen entstanden. Dieser beträgt nach Ansicht der Staatsanwaltschaft insgesamt 5,052 Mio. Euro, wobei allein ein Betrag in Höhe von 3,125 Mio. Euro auf die ungerechtfertigte Vergütung an den Betriebsratsvorsitzenden entfalle. Den Angeschuldigten werden insgesamt 29 Einzeltaten vorgeworfen. Einem ehemaligen Personalvorstand werden 20 Taten sowie einem VW-Personalleiter 27 Taten zur Last gelegt. Ein weiterer ehemaliger Personalvorstand soll für fünf Taten verantwortlich sein, ein ehemaliger VW-Personalleiter für eine Tat.

Wegen Untreue macht sich gemäß § 266 StGB strafbar, wer

die ihm durch Gesetz, behördlichen Auftrag oder Rechtsgeschäft eingeräumte Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen oder einen anderen zu verpflichten, missbraucht oder

die ihm kraft Gesetzes, behördlichen Auftrags, Rechtsgeschäfts oder eines Treueverhältnisses obliegende Pflicht, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen, verletzt

und dadurch dem, dessen Vermögensinteressen er zu betreuen hat, Nachteil zufügt

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Hier geht’s um Leben und Tod

Die Frage nach dem Zeitpunkt des Todeseintritts wird bekanntlich in Medizin und Recht, aber auch innerhalb der verschiedenen Rechtsgebiete ganz unterschiedlich beantwortet.

Einig ist man sich im Recht allein darin, dass auch der Tod ein normativer Begriff ist und etwa die Kriterien der Naturwissenschaften nicht ohne Weiteres übernommen werden können, vor allem weil etwa die Naturwissenschaften den Tod häufig als Prozess begreifen, es im Recht aber wünschenswert ist, einen genauen Zeitpunkt zu kennen, an dem das Leben endet und der Tod beginnt – mit den sich hieraus ergebenden Rechtsfolgen.

Im Strafrecht wird der Todeszeitpunkt – naheliegend – in der Regel im Rahmen der Tötungsdelikte diskutiert, ein Fall aus Iowa/USA zeigt jedoch, dass es auch in der Strafvollstreckung darauf ankommen kann, wann der Tod eintritt. Und Ausgangspunkt hierfür war ein simpler Nierenstein.

Nach einem Bericht der Süddeutschen Zeitung war der heute 66jährige Benjamin Schreiber im Jahr 1997 wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden, die er seitdem in Iowa absitzt.

Im März 2015 entwickelte Schreiber einen Nierenstein, der zu einer Vergiftung führte. Er wurde in seiner Zelle bewusstlos aufgefunden, in ein Krankenhaus gebracht und musste dort fünfmal wiederbelebt werden.

Schreiber argumentierte gegenüber dem Bezirksgericht nun, er sei kurzzeitig verstorben gewesen und habe daher seine „lebenslange“ Freiheitsstrafe bereits verbüßt. Mithin sei er nun unrechtmäßig eingesperrt.

Inhaltlich stützt er sich damit auf die lange in der Medizin vorherrschende Sicht, der Todeseintritt werde durch den Herz- und Kreislaufstillstand markiert (sog. klinischer Todesbegiff). Davon ist man jedoch im Zuge der Entwicklung der Intensiv- und Transplantationsmedizin abgewichen. Denn eine Reanimation sei nicht die Wiedererweckung eines Toten sondern die Rettung eines (noch) Lebenden (vgl. Fischer StGB Vor §§ 211-217 Rn. 14). Heute wird die irreversible Beendigung aller Gehirnfunktionen als zentrales Kriterium für den Todeseintritt angesehen.

Entsprechend vermochte das Bezirksgericht der Auffassung Schreibers (oder dessen Rechtsanwalts) nicht zu folgen und auch vor dem Berufungsgericht des Bundesstaates hatte Schreiber kein Glück. Die zuständige Richterin Potterfield schrieb in ihrer Urteilsbegründung:

Entweder lebt Schreiber, dann muss er im Gefängnis bleiben. Oder er ist tot, dann ist dieser Einspruch rein akademisch.

Stern, Rechtsanwalt für Strafrecht

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Auf der Post: Verboten und Strafbar sind nicht dasselbe.

Es ist manchmal nicht so einfach mit dem Betrugstatbestand. Nach einem Bericht der LTO war dem Mandanten eines Rechtsanwalts aufgefallen, dass sein Rechtsanwalt offenbar eine Briefmarke doppelt verwendet hatte. Die Marke sei zwar nicht gestempelt gewesen, wohl aber aus einer anderen Postsendung ausgeschnitten und auf eine neue aufgeklebt worden. Der Mandant hatte von seinem Postzusteller, der Nachporto erheben wollte, erfahren, dass das verboten und damit „Betrug“ sei und konfrontierte seinen Anwalt mit diesem ungeheuerlichen Vorwurf per Mail. Die Reaktion des Rechtsanwalts war alles andere als besonnen: Er verlangte unter Fristsetzung die Abgabe einer Unterlassungserklärung mit dem Inhalt, künftig nicht mehr zu behaupten, der Anwalt habe einen Betrug begangen, indem er gebrauchte Briefmarken benutzt habe.

Nachdem – nun sicherlich ehemalige – Mandant den Rechtsanwalt wegen der Briefmarke auch noch bei der Kammer angeschwärzt hatte, übersandte der Jurist auch noch eine Rechnung in Höhe von 492,54 Euro aus Anwaltshonorar. Der ehemalige Mandant fühlte sich jedoch im Recht und verweigerte die Zahlung. Daraufhin klagte der Anwalt. Mit einigem Erfolg, denn ein Betrug ist das keineswegs.

Zwar darf man nach den Geschäftsbedingungen der Post unbrauchbar gewordene Briefmarken (etwa weil das Paket, auf dem sie aufgeklebt waren, durchnässt ist, nur in Poststellen gegen neue umtauschen und bereits aufgeklebte Briefmarken nur auf den ursprünglichen Briefumschlag kleben, aber ein Verstoß gegen Geschäftsbedingungen ist nicht dasselbe wie ein Betrug.

Ein Betrug setzt sich aus einer Täuschung des Beschuldigten, einem Irrtum des Geschädigten, einer Vermögensverfügung durch den Geschädigten oder Dritten und schließlich einem Schaden zusammen. Das ergibt sich nicht unbedingt aus dem Wortlaut, ist aber anerkannt.

Hier ist eigentlich alles problematisch.

Das Ausschneiden der Briefmarke (auf LTO gibt es ein Foto vom Brief) und Aufkleben war für die Post derart offensichtlich, dass es zu keiner Fehlvorstellung bei dieser kommen konnte.

Der Postzusteller hatte sich auch nicht geirrt und entsprechend den Geschäftsbedingungen Nachporto verlangt. Nach den Geschäftsbedingungen der Post dürfe man unbrauchbar gewordene „verdorbene“ Briefmarken nur in Poststellen gegen neue umtauschen, bereits aufgeklebte Briefmarken auch nur auf dem ursprünglichen Briefumschlag. Keinesfalls dürfe man sie aber zur Frankierung verwenden. Wenn der Postbote dies aber weiß, die unzulässig aufgeklebte Briefmarke erkennt und nach den Geschäftsbedingungen behandelt, fehlt es an einem Irrtum, sodass allenfalls ein Betrugsversuch in Betracht kommt.

Eine Vermögensverfügung mag im Zustellversuch zu erblicken sein, aber ein Schaden ist weit und breit nicht zu sehen:

Ein (Vermögens-)Schaden ist ein negativer Saldo zwischen dem Wert des Vermögens vor und nach der irrtumsbedingten Vermögensverfügung des Getäuschten.

Hier hatte der Rechtsanwalt das Porto für die Zustellung bezahlt, und diese wurde wurde durchgeführt. Er hätte sogar Anspruch auf Ausstellung einer neuen Briefmarke gehabt, was Verwaltungsaufwand bedeutet hätte. Die Post hat zudem Nachporto erhoben, was im Ergebnis sogar zu einem positiven Saldo geführt hätte, wenn sich der ehemalige Mandant darauf eingelassen hätte.

Nach alledem lag also ein Betrug nicht vor, daher hätte der ehemalige Mandant seinem Rechtsanwalt einen solchen auch nicht vorwerfen dürfen.

Der Mandant hat sich übrigens in einem gerichtlichen Vergleich verpflichtet, an den Rechtsanwalt 400,00 € zu zahlen und die Vergleichs- und Verfahrenskosten in Höhe von 316,23 € zu übernehmen. Im Ergebnis war es also eine teure Mail.

Es mag alles der Rechtslage entsprechen. Ob der Rechtsanwalt aber gleich mit der Übersendung einer Unterlassungserklärung reagieren musste oder sich vielleicht lieber ein etwas dickeres Fell zulegt, steht natürlich auf einem ganz anderen Blatt.

Rechtsanwalt Konstantin Stern

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Blogrundschau Strafrecht (08.11.2019)

Burhoff zum Beschluss des BGH, vom 29.08.2019 – 5 StR 103/19, in dem dieser zum Ausdruck brachte, der Urteil des Landgerichts auf die Revision der Staatsanwaltschaft hin auch ohne Anwesenheit des Angeklagten in der Revisionshauptverhandlung verwerfen zu wollen. Und zu können.

Strafrechtsblogger zum Beschluss des OLG Köln vom 04. April 2019 zum Aktenzeichen 2 Ws 122/19, wonach die Einwilligung eines Boxers in die durch seinen Gegner voraussichtlich im Rahmen des Boxkampfes zu verursachenden Körperverletzungen unwirksam ist, wenn der Gegner Dopingmittel eingenommen hat.

Udo Vetter listet neue vom Bundeskabinett gerade beschlossene Maßnahmen zum Schutz der Radfahrer im Straßenverkehr auf. Ich verweise auch auf die Diskussion in den Kommentaren, wo einige Punkte noch einmal konkretisiert werden.

Rechtsanwalt Stern

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Untersuchungshaft nach versuchter Brandstiftung?

In Rodenberg hat die Polizei nach einer Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft Bückeburg einen 64jährigen Mann wegen versuchter Brandstiftung vorläufig festgenommen. Dieser sei dringend verdächtig, versucht zu haben, einen an eine Doppelgarage angrenzenden Fahrradschuppen anzuzünden. Glücklicherweise sei das Feuer durch Zeugen rechtzeitig bemerkt worden. Den Zeugen sei es gelungen, das Feuer zu löschen und den Beschuldigten bis zum Eintreffen der Polizei festzuhalten.

Auf Antrag der Staatsanwaltschaft Bückeburg wurde der Beschuldigte – der die Tat bestreitet – dem Haftrichter vorgeführt und Haftbefehl erlassen. Der Haftbefehl wurde auf den Haftgrund der Wiederholungsgefahr gestützt, weil der Beschuldigte mehrere einschlägige Vorstrafen habe. Der Haftbefehl wurde vollstreckt.

Das ist interessant, denn die Sicherungshaft wegen Wiederholungsgefahr nach § 112 a StPO ist eine vorbeugende Maßnahme zum Schutz der Allgemeinheit vor weiteren erheblichen Straftaten besonders gefährlicher Täter (anders als entgegen der landläufigen Meinung die übrigen Haftgründe..). Hieraus ergibt sich auch, dass die Sicherungshaft wegen Wiederholungsgefahr subsidiär ist gegenüber den Haftgründen des § 112 StPO. Liegen diese vor und kommt eine Haftverschonung nach § 116 nicht in Betracht, dann muss der Haftbefehl auch dann auf § 112 StPO gestützt werden, wenn Wiederholungsgefahr besteht. Oder andersherum: Im Falle des Brandstifters aus Rodenberg soll nach Ansicht des Ermittlungsrichters weder Fluchtgefahr noch Verdunkelungsgefahr vorliegen und trotzdem will man ihn in Haft sehen.

Wiederholungsgefahr ist nicht stets ein Haftgrund, sondern nur wenn es um eine (bzw. mehrere) Taten aus dem in § 112a skizzierten Katalog geht. Dazu zählen:

  • bestimmte Sexualdelikte
  • bestimmte qualifizierte Körperverletzungsdelikte
  • bestimmte qualifizierte Diebstahlsdelikte
  • Raub- und raubähnliche Delikte
  • Brandstiftung

Bei den Sexualdelikten gilt dies stets. Bei den übrigen Delikten muss es – neben einer Straferwartung von einem Jahr – um eine die Rechtsordnung schwerwiegend beeinträchtigende Tat gehen. Dieser unbestimmte Rechtsbegriff wird gemeinhin mit noch mehr unbestimmten Rechtsbegriffen definiert. Insbesondere müssen Art und Ausmaß des Schadens bei jeder einzelnen Tat erheblich sein. Ob das bei einem in Brand gesetzten Fahrradschuppe schon der Fall sein kann, ist – aus der Ferne gesprochen – jedenfalls fragwürdig. Unrechts- und Schweregrad müssen zudem geeignet sein, in weiten Kreisen „das Gefühl der Geborgenheit im Recht“ zu beeinträchtigen (prosaisch das Berliner Kammergericht im Jahr 2015 (NStZ -RR 2015, 115). Das mag bei einem Teil der Bevölkerung Rodenbergs der Fall sein. Ich persönlich fühle mich jedoch im Recht dann geborgen, wenn Straftaten rasch aufgeklärt und Strafverfahren mit den Mitteln des Rechtsstaats zügig durchgeführt werden. Vorläufige Inhaftierungen nach dem Gesetz unschuldiger Menschen stören dieses Geborgenheitsgefühl eher.

Rechtsanwalt Stern, Strafverteidiger

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Eine Stadt sucht einen Mörder

Als im Mai die Oper M – Eine Stadt sucht einen Mörder nach dem Film von Fritz Lang an der Komischen Oper Berlin Premiere hatte – mit dem Bariton Scott Hendricks als Peter Lorre M auf der Bühne, dem fast durchgängig präsenten Kinderchor der Komischen Oper unter riesigen Puppenköpfen, Barry Kosky als Ideenproduzent hinter der Bühne und Moritz Eggert auf dem Komponistenhocker – waren Zuschauer und Presse („Wahnsinn, der Methode hat„) schwer beeindruckt.

Ich habe mir nun einen Hauch von M ins Büro geholt. Was passt, das passt:

Mein Dank gilt Moritz für das Erlebnis und der Komischen Oper Berlin für die freundliche Übersendung des Plakats.

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Staatsexamen

Staatsexamen

Durchfallquoten im Examen waren für die meisten meiner damaligen Kommilitonen genau das: Quoten. Zwar kannte irgendwer irgendwen, der mal durchgefallen war. Das war auch nicht weiter verwunderlich angesichts von einer Wahrscheinlichkeit von 30-50 %, unter dem Strich zu landen. Aber selbst erlebt hatte es niemand von uns.

Umso interessanter ist es, dass die YouTuberin Maren vom Kanal EinfachMaren – Lifestyle, Jura & Pony einen Einblick in ihr Seelenleben nur wenige Tage nach der schlechten Nachricht gibt, ein wenig unreflektiert vielleicht, aber in jedem Fall ehrlich. Und mutig ist es auch, vor aktuell über 40.000 Menschen über das eigene Scheitern zu sprechen.

Hier geht’s zum Video.

Für den zweiten Versuch drücken wir ihr natürlich die Daumen.

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Mann bricht in Gefängnis ein. Ist das verboten?

Alles verkehrt herum in dieser Geschichte.

In der JVA Vechta sitzt eine Frau ein, die kürzlich die Beziehung zu ihrem Freund beendet hatte. Der (Ex-)Freund hatte aber noch Klärungsbedarf.

Der Freund dachte jedoch nicht daran, sich einen Besuchsschein zu besorgen, sondern brach kurzerhand in die JVA ein, indem er an einer Laterne emporkletterte und sich von dort an die Fassade und das Fenster der Angebeteten schwang. Freiwillig wollte er nicht mehr herunterkommen, sodass er mit einer Drehleiter der Feuerwehr abgeholt werden musste. Um die Verflossene auf seine äußerlichen Vorzüge aufmerksam zu machen nicht am Stacheldraht hängen zu bleiben, hatte er sich überdies eines Großteils seiner Kleidung entledigt. Das nennen wir Einsatz.

Der Einbruch in die JVA kann – je nachdem wie weit er es geschafft hatte – als Hausfriedensbruch strafbar sein, was allerdings einen Strafantrag voraussetzt. Vielleicht zeigt sich die JVA Vechta ja verständnisvoll. Ging das Fenster zur Außenmauer raus, ist es evtl. nicht mal ein Hausfriedensbruch.

In jedem Fall, und das sehen wir hier anders als der Kollege Vetter, dürfte eine Ordnungswidrigkeit vorliegen, denn nach § 115 OWiG ist der Verkehr mit Gefangenen bußbar.

Wenn sich der junge Mann bereits im Inneren der JVA aufgehalten hatte, dürfte richtig sein, dass er sich nicht im Sinne der Nr. 2 fehlverhalten hat. Danach handelt ordnungswidrig, wer unbefugt

2. sich mit einem Gefangenen, der sich innerhalb einer Vollzugsanstalt befindet, von außen durch Worte oder Zeichen verständigt.

Tatsächlich ist das Tatbestandsmerkmal „von außen“ relevant. Man könnte zwar argumentieren, eine Verständigung innerhalb der Anstalt „erst recht“ bußbar sein muss, wenn der Nicht-Inhaftierte verbotswidrig in die JVA eingedrungen war. Denn das Reinrufen / Morsen in die Anstalt ist ja weniger als das Reinklettern und Vor-Ort-Kommunizieren.

Die herrschende Meinung fasst den Tatbestand aber eng (KK-Rogall § 115 Rn. 24; Senge OWiG § 115 Rn. 14; Göhler OWiG § 115 Rn. 15), denn der Schutzzweck des § 115 besteht insbesondere in der Aufrechterhaltung des geordneten Ablaufs des Strafvollzugs, der durch Sprechchöre u. ä. vor der Anstalt tatsächlich erheblich aus der Bahn geworfen werden kann. Ein ungebetener Gast hat freilich, wenn er entdeckt wird, noch viel gravierende Folgen, doch liegen die in seiner Anwesenheit, nicht in der Verständigung begründet.

Allerdings hat sich der junge Mann nach Nr. 1 der Vorschrift bußbar gemacht. Danach handelt ordnungswidrig, wer unbefugt

1. einem Gefangenen Sachen oder Nachrichten übermittelt oder sich von ihm übermitteln lässt.

Nachrichten sind alles, was über eine harmlose Kontaktaufnahme wie Zurufe oder Begrüßungen hinausgeht, in jedem Fall auch ein tiefschürfendes Beziehungsgespräch. Übermitteln ist ferner kein „Vermitteln“. Der wohl häufigste Fall des Übermittelns einer eigenen Nachricht ist unproblematisch erfasst.

Was kann nun der Verteidiger machen?

Im Ordnungswidrigkeitenrecht gibt es genau wie im Strafrecht Einstellungsvorschriften. Die zentrale ist § 47 OWiG:

Die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten ließt im pflichtgemäßen Ermessen der Verfolgungsbehörde. Solange das Verfahren bei ihr anhängig ist, kann sie es einstellen.

Diese Opportunitätsvorschrift entspricht im Kern der Intention des § 153 StPO. Dies führt leider insbesondere dazu, dass eine Einstellung im Sinne des § 153a StPO (gegen eine Geldauflage) nicht vorgesehen ist, was § 47 Abs. 3 zur Sicherheit noch einmal festschreibt:

Die Einstellung des Verfahrens darf nicht von der Zahlung eines Geldbetrages an eine gemeinnützige Einrichtung oder sonstige Stelle abhängig gemacht werden oder damit in Zusammenhang gebracht werden.

Also entweder der Vorwurf ist so geringfügig, dass man ihn gänzlich ohne Sanktion einstellen kann, oder es gibt den Bußgeldbescheid. Dem Verteidiger eröffnen sich hier sicherlich Argumentationsräume. Falls die JVA den Strafantrag stellt, dann ist § 153a StPO sicherlich eine gute Option zur Erledigung des Verfahrens.

Konstantin Stern, Rechtsanwalt

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Blogrundschau Strafrecht (02.11.2019)

Burhoff über den Beschluss des KG vom 04. Februar 2019, wonach eine religiöse Motivation für die Tat (hier: „Abstrafung“ eines Konvertiten zum Christentum) im Rahmen der Bewährungsentscheidung nach § 56 Abs. 2 StGB zu berücksichtigen ist.

Eva Neumann über das Urteil C-128/18 Dorobantu des EuGH vom 15.10.2019, in dem der EuGH die Mindestanforderungen für Haftbedingungen im Kontext des Europäischen Haftbefehls konkretisiert hatte. Gegenstand war ein europäischer Haftbefehl zum Zweck der Strafverfolgung in Rumänien.

Udo Vetter über einen Fall, in dem das Gericht im Rahmen einer Verständigung auf eine Freiheitsstrafe zwischen 4 Jahren und 10 Monaten und 5 Jahren und 9 Monaten ungewöhnlicherweise auf genau 4 Jahre und 10 Monate entschied.

WBS Law über die Vorlage der Rechtsfrage des OLG Hamm an den BGH, ob Taschenrechner am Steuer genauso zu behandeln seien wie Mobiltelefone.

Sokolowski über den Beschluss des LG Hamburg vom 09. Oktober 2019 zum Aktenzeichen 628 Qs 31/19, wonach (kritikwürdigerweise) Analphabetismus allein die Beiordnung eines Pflichtverteidigers nicht rechtfertige.

Konstantin Stern, Rechtsanwalt

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Urteile gegen Alfred und Monika Sch. wegen Volksverhetzung rechtskräftig

Der Bundesgerichtshof hat mit gerade veröffentlichtem Beschluss vom 06. August 2019 – 3 StR 190/19 das Urteil des Landgerichts München II vom 26. Oktober 2018 (Aktenzeichen 3 KLs 12 Js 22685/16) gehalten, in dem die Angeklagten wegen Volksverhetzung und des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen zu Haftstrafen verurteilt worden waren.

Das Landgericht München II hatte festgestellt, dass der Angeklagte A. Sch. in der Zeit von Januar 2015 bis Juli 2017 zehn Videos im Internet veröffentlicht habe, in denen er den Völkermord an den europäischen Juden in der Zeit des Nationalsozialismus geleugnet habe (§ 130 Abs. 3 StGB). In acht dieser Fälle stachelte der Angeklagte zugleich zum Hass gegen Juden aufgestachelt und außerdem deren Menschenwürde angegriffen, indem er sie böswillig verächtlich gemacht habe (§ 130 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB). In fünf Fällen habe er überdies zum Hass gegen Flüchtlinge aufgestachelt (§ 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB). Die Angeklagte M. Sch. habe in drei Fällen an der Produktion der Videos mitgewirkt.

Holocaust-Mahnmal; Foto: Pixabay

Die Angeklagten hatten sich im Verfahren offenbar dahingehend eingelassen, dass sie irrig an die „Nichtexistenz“ des NS-Genozids geglaubt hätten. Insofern habe es am Vorsatz gefehlt, da die Unwahrheit der behaupteten Tatsache – anders als bei der üblen Nachrede (§ 186 StGB) – nicht nur eine objektive Bedingung der Strafbarkeit sei, sondern ein Merkmal des objektiven Tatbestandes, auf das sich der Vorsatz zu erstrecken hat (§ 16 StGB).

Auch der BGH (und die Mehrheit im Schrifttum) verlangt (bedingten) Vorsatz bzgl. des Leugnens, stellt aber sehr niedrige Anforderungen an diesen Vorsatz.

Vorsätzlich leugnet den Holocaust, wer ihn in Abrede stellt, obwohl er entweder weiß oder zumindest für möglich hält und billigend in Kauf nimmt, dass der Holocaust entgegen seiner Behauptung tatsächlich stattgefunden hat (vgl. LK/Krauß, aaO Rn. 130; MüKoStGB/Schäfer, aaO Rn. 103; S/S/Sternberg-Lieben/Schittenhelm, aaO Rn. 20).

Dass der Holocaust entgegen der eigenen Behauptung stattgefunden hat, nimmt billigend in Kauf, wer

  • die einschlägigen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zum Holocaust nicht zur Kenntnis nimmt (etwa BVerfG, Beschluss vom 9. Juni 1992 – 1 BvR 824/90)
  • sich gegenüber der auch sonst eindeutigen Beweislage ignorant zeigt, und die Existenz historisch anerkannten Quellenmaterials aus differenzierter 70jähriger Forschung ignoriert,
  • die Quellen der eigenen Erkenntnisse, etwa den „Leuchter-Report“, nicht kritisch hinterfragt und
  • an sorgsamer, an Wahrheit orientierter Forschung nicht interessiert ist.

Zum Gesetzestext von § 130 StGB

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