Unserem Mandanten, dessen Vertretung wir erst im Revisionsverfahren übernommen hatten, wurde vorgeworfen, unter Verwendung von Falschpersonalien zumeist Lautsprecherboxen, andere technische Geräte (u.a. ein iPhone) oder Geschenkgutscheine zum Preis von jewelis 60,00 Euro bis 1.300,00 Euro auf der Internetplattform eBay zum Verkauf angeboten zu haben, obwohl er zu keinem Zeitpunkt vorhatte, diese Gegenstände an die jeweiligen Käufer zu liefern. Im Vertrauen darauf, dass unser Mandant den jeweiligen Kaufgegenstand liefern werde, haben die Käufer jeweils das Angebot angenommen und den geforderten Kaufpreis auf das jeweils angegebene Konto unseres Mandanten überwiesen. Unser Mandant hatte den Käufern die versprochenen Gegenstände nicht übersandt.
Zudem wurde unserem Mandanten vorgeworfen, über die Internetplattform eBay unberechtigt unter verschiedenen falschen Namen u.a. hochwertige Handys (iPhone 7 und iPads) von Verkäufern aus Berlin und der Bundesrepublik bestellt und erworben zu haben. Er habe sich diese Geräte an seine Wohnanschrift liefern lassen. Unser Mandant habe von vornherein nicht vorgehabt, die Waren zu bezahlen.
Das Amtsgericht Tiergarten – erweitertes Schöffengericht – verurteilte ihn wegen Betruges in 56 Fällen, davon in drei Fällen Versuch, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Dem Urteil lag eine Verständigung gemäß § 257c StPO zu Grunde.
Die Staatsanwaltschaft Berlin hat trotz der getroffenen Verständigung gegen das Urteil Berufung eingelegt und die Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. In der Berufungshauptverhandlung hat der Mandant erneut gestanden.
Das Landgericht Berlin – erweiterte kleine Strafkammer – hat in der Berufungsverhandlung das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten im Rechtsfolgenausspruch dahin geändert, dass unser Mandant zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von nun zwei Jahren und drei Monaten verurteilt wurde, deren Vollstreckung nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Nach der Verkündung des nunmehr sehr belastenden Urteils wandte sich unser Mandant an Strafverteidiger Rechtsanwalt Stern. Dieser legte umgehend Revision ein und beantragte Akteneinsicht. Nach intensivem Durcharbeiten der Urteilsbegründung sowie der Akten, vor allem des Hauptverhandlungsprotokolls mit den Gerichtsbeschlüssen, begründete Rechtsanwalt Stern die allgemeine Sachrüge wie folgt:
- Rechtsfehlerhafte Verwertung des auf der Verständigung basierenden Geständnisses:
Zunächst rügte Rechtsanwalt Stern, dass das Landgericht aufgrund der Rechtsmittelbeschränkung der Staatsanwaltschaft keine neuen tatsächlichen Feststellungen getroffen, mithin das in der ersten Instanz abgelegte Geständnis verwertet hatte, obgleich es über den erstinstanzlich vereinbarten und bereits ausgeschöpften Strafrahmen zum Nachteil unseres Mandanten hinausgegangen war.
Rechtsanwalt Stern erklärte, dass das erstinstanzlich abgelegte Geständnis nur dann hätte verwertet werden dürfen, wenn die Strafe des Landgerichts innerhalb des erstinstanzlich vereinbarten Strafrahmens geblieben wäre.
In der ersten Instanz sei eine Strafe zwischen einem Jahr und zehn Monaten und zwei Jahren vereinbart worden, die zur Bewährung auszusetzen sei.
Das Amtsgericht hatte diesen Strafrahmen bereits voll ausgeschöpft.
Rechtsanwalt Stern argumentierte, dass das im Rahmen der Verständigung zustande gekommene Geständnis einem Beweisverwertungsverbot unterliegt, wenn es in der Berufungsinstanz zu einer den Angeklagten beschwerenden Abänderung des Urteils kommen soll. Dies war bereits durch OLG Düsseldorf, Beschluss vom 06. Oktober 2010, III-4 RVs 60/10; StV 2011, 80 entschieden worden. Zudem recherchierte Rechtsanwalt Stern einen Aufsatz von Hartmut Schneider, Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof, in der NZWiSt 2015, 1, 4, der den hiesigen Fall behandelte. Hartmut Schneidet erläutert hier, dass die Staatsanwaltschaft den Angeklagten durch eine einseitige Strafmaßberufung nach einer erstinstanzlich getroffenen Verständigung in ein „strukturelles Verteidigungsdefizit hineinmanövriert“. Dies liegt darin begründet, dass die Beschränkung der Berufung auf das Strafmaß den nicht angefochtenen Schuldspruch in Rechtskraft erwachsen lässt. Dadurch droht das legitime Vertrauen des Angeklagten darauf, das Gericht durch ein verständigungsbasiertes Geständnis im Gegenzug auf eine bestimmte Höchststrafe festlegen zu können, enttäuscht zu werden; denn nunmehr sieht er sich der durch § 331 Abs. 1 StPO nicht gebannten Gefahr ausgeliefert, mit seinem Geständnis nicht nur die Basis für den von ihm ohnedies hingenommenen (rechtskräftigen) Schuldspruch, sondern damit zugleich auch für eine den erstinstanzlich verabredeten Strafrahmen übersteigende Sanktion geliefert zu haben. Es leuchtet ein, dass diese Spannungslage fundamentalen Gerechtigkeitsvorstellungen widerstreitet und aus Fairnessgründen nicht hingenommen werden kann. Ihre rechtsstaatlich gebotene Auflösung sei aus Sicht von Schneider mit Hilfe von Art. 6 Abs. 1 EMRK zu bewerkstelligen. Danach hänge die strafprozessuale Verwertbarkeit des verständigungsbasierten Geständnisses im Falle einer Strafmaßberufung der Staatsanwaltschaft davon ab, wie das Berufungsgericht auf das Rechtsmittel zu reagieren gedenke: Möchte es dem Anliegen der Anklagebehörde näher treten und den Angeklagten zu einer Strafe verurteilen, die jenseits der erstinstanzlich abgesprochenen Obergrenze liegt, so sei es aus Fairnessgründen daran gehindert, seine Entscheidung auf das erstinstanzliche Geständnis des Angeklagten zu stützen. Vielmehr müsse die verständigungsbasierte Einlassung in derartigen Konstellationen einem aus Art. 6 Abs. 1 EMRK hergeleiteten Beweisverwertungsverbot unterliegen.
2. Unterlassene qualifizierte Belehrung
Ferner rügte Rechtsanwalt Stern, dass das Landgericht unseren Mandanten nicht qualifiziert darüber belehrt habe, dass es gedenkt, über den erstinstanzlich vereinbarten Strafrahmen hinauszugehen und damit das auf Grundlage der Verständigung abgelegte Geständnis unverwertbar sei.
Das Landgericht hatte unseren Mandanten nur allgemein belehrt.
Rechtsanwalt Stern erläuterte, dass somit nicht ausgeschlossen werden könne, dass unser Mandant das Geständnis vor dem Berufungsgericht lediglich im Hinblick darauf wiederholt habe, dass er das zuvor abgegebene für verwertbar gehalten habe, zumal unser Mandant zum Zeitpunkt seines zweiten Geständnisses überhaupt nicht absehen habe können, ob das erste verwertbar sei, weil die Verwertbarkeit davon abhängig gewesen sei, ob das Gericht über den erstinstanzlich vereinbarten Strafrahmen hinausgehen oder diesen akzeptieren würde.
Um dem Angeklagten diese Unsicherheit zu nehmen und ihm die vollumfängliche Ausübung seiner Verteidigungsrechte zu ermöglichen, müsse das Berufungsgericht den Angeklagten vor Einlassung zur Sache „qualifiziert“ über die Unwirksamkeit der Rechtsmittelbeschränkung und die Unverwertbarkeit seines erstinstanzlichen Geständnisses belehren, sofern es über die Obergrenze des ursprünglich vereinbarten Strafrahmens hinausgehen will (Schneider, NZWiSt 2015, 1, 5).
Hierbei handele es sich um eine wesentliche Verfahrensförmlichkeit, die in die Sitzungsniederschrift aufzunehmen gewesen wäre.
Das Landgericht hatte die Angaben des zweiten Geständnisses in seinem Berufungsurteil berücksichtigt und unseren Mandanten zu einer höheren Freiheitsstrafe verurteilt. Dies führe zu einem Beweisverwertungsverbot.
Im Ergebnis schloss sich das Kammergericht der Auffassung von Rechtsanwalt Stern an, hob das Urteil des Landgerichts Berlin auf und verwies die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts Berlin. Die Staatsanwaltschaft nahm daraufhin ihre Berufung zurück, sodass es bei der Bewährungsstrafe blieb.